Rückführung im Todesfall

Nach vier krankenversicherungslosen Jahren (dieser ganze bürokratische Kram ist mir als Jurist zuwider) habe ich mich vor meinem Umzug in das mit Malaria, Gelb- und Denguefieber nur so strotzende Südamerika kurzzeitig mit dem Gedanken getragen, doch mal wieder mit einer Assekuranz zu kontrahieren. Schließlich schmerzt bürokratischer Kram bei aller Abneigung weniger als die immunisierenden Spritzen, die einem frustriert-sadistische Ärztinnen in den sportlich wohlgeformten Popo jagen wollen.

Dabei bin ich auf ein lustiges Angebot gestoßen: eine Versicherung für die Rückführung im Todesfall. Veträge zu verkaufen, die einzulösen man für die Zeit nach dem Tod des Vertragspartners verspricht, ist grundsätzlich ein profitables Geschäftsmodell. Wer solche Versicherungspolicen abschließt, möge mich bitte kontaktieren, um mir ein langfristiges Darlehen zu gewähren.

Auch der Öko in mir kann diese Idee nicht gutheißen. Wenn diese Unsitte überhand nimmt, ist der Himmel bald voll mit Flugzeugen, die Leichen, Leichenteile, Särge, Urnen und Seelen von einem Kontinent zum anderen fliegen. Einige dieser Flugzeuge werden kollidieren, ihre Insassen dabei kollabieren, und man benötigt noch mehr Flugzeuge und wagemutige Piloten, die noch mehr Leichen herumfliegen. Und so weiter. Deutsche Au-Pair-Mädchen werden aus Australien, indische Gastarbeiter aus Südafrika, der Botschafter eines obskuren Zwergstaats in die Karibik zurückgeflogen. Ein weltweites Leichenkarussell.

Es ist zwar schon 2015, aber vielleicht muss ich das nochmal erklären: tot ist tot. Es kommt wirklich nichts mehr danach. Und selbst die meisten Menschen, die dem gegenteiligen Irrglauben verhaftet sind, glauben nicht, dass dieses „etwas“ von ihrer Körperlichkeit abhinge, sonst würden sie sich doch nicht in einem letzten pyromanischen Akt einäschern lassen.

Wo auf dieser weiten Welt man vor sich hingammelt und zu Kompost wird, sollte also wirklich egal sein. Ich gehe noch einen Schritt weiter: Ich verbiete hiermit ausdrücklich meine Rückführung im Todesfall! Ich halte es nämlich für eine geradezu romantische Vorstellung, dass meine letzte Ruhestätte durch den Zufall eines Zugunglücks in Bangladesch, das Erfrieren beim Besteigen des Huayna Potosí in Bolivien oder das erschöpfte Vom-Fahrrad-Fallen in der Steppe Kirgistans bestimmt wird. Noch romantischer wäre eigentlich das Verschollengehen, aber in Deutschland gibt es natürlich auch hierfür ein Gesetz, dessen Lektüre jegliche Livingstone-Mallory-Earhart-Romantik zunichte macht.

Dabei geht es mir gar nicht um mich selbst, an dessen fortgesetzte Existenz nach dem Versagen der Herzpumpe ich bekanntermaßen nicht glaube. Ich hege vielmehr die Hoffnung, dass meine Verwandten, Freunde und Leser dieses Blogs, wenn sie eine Blume oder einen Stein niederlegen wollen, in ein Land reisen müssen, in das sie sonst nie gekommen wären. Die, die sonst nie ihre Kleinstadt verlassen, werden plötzlich zu Entdeckern und Abenteurern. In ein sonst ruhiges Bergdorf in Bhutan, auf eine Farm in Sambia oder zum Markierungsstein für Kilometer 2.300 auf der Ruta Nacional 40 in Argentinien kommen die Pilger aus allen Richtungen.

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Während der langen Anreise lesen sie meine Bücher, und wenn sie die freundlichen Fremden kennenlernen, merken sie, wie sie ihr Leben vergeudet haben, indem sie jahrein, jahraus ins Büro rennen, anstatt sich die Welt anzusehen. Sie kabeln die Kündigung ihres Arbeitsvertrags, ihrer Wohnung, vielleicht Ihrer Ehe nach Hause und beginnen ein neues Leben, genau dort wo meines geendet hat.

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In Wirklichkeit wird natürlich niemand vorbeischauen, wenn man als Toter nicht zufällig auf dem Weg zum Supermarkt liegt und wenn kein kostenloser und bitteschön schattiger Parkplatz vor dem Friedhof bereitsteht.

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Ach ja, das mit der Krankenversicherung habe ich dann übrigens sein gelassen. Zu teuer.

(Click here for the English version with my own photos of beautiful cemeteries.)

Über Andreas Moser

I am a lawyer in Germany, with a focus on international family law, migration and citizenship law, as well as constitutional law. My other interests include long walks, train rides, hitchhiking, history, and writing stories.
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20 Antworten zu Rückführung im Todesfall

  1. dosenkunst schreibt:

    Na, dann freuen wir uns doch über die Faulheit der Menschen. Stell dir mal vor sie würden wirklich alle um dein Grab herum leben, sterben, mehr Menschen anziehen und damit ganz neue Imperien gründen. Dann müßtest du dir heute schon Sorgen machen, welchem Landstrich du diesen Ansturm zumuten willst..
    Spannende Gedanken mit sehr schönen Bildern, hat mich zum schmunzeln gebracht in einem kleinen Kaff mitten in Deutschland. Merci.

    • Andreas Moser schreibt:

      Danke! Aber meine Sippe und der Kreis meiner Freunde sind so klein, dass sie nicht einmal einen Kibbutz, geschweige denn ein Imperium gründen könnten.

      Die Fotos sind diesmal übrigens nicht von mir. Wenn man auf die Fotos klickt, kommt man zurr Seite des jeweiligen Fotografen mit weiteren Angaben über die Orte.
      Aber auch ich habe schon manchmal verwilderte Gräber irgendwo in Mazedonien oder auf einer Insel vor Estland gefunden, wo wohl niemand mehr vorbeischaut, und ich fand das immer romantisch.

      Grüße von jemanden, der aus einem wahrscheinlich noch kleineren Kaff in Bayern stammt. 🙂

  2. Kuriositätenkenner schreibt:

    Only in ‚murica, aber es gibt tatsächlich Friedhöfe, die von Shopping-Mall-Parkplätzen umgeben sind:
    http://googlesightseeing.com/2012/10/graveyards-in-parking-lots/
    http://www.roadsideresort.com/blog/paved-paradise-cemeteries-in-parking-lots

  3. American Viewer schreibt:

    in den sportlich wohlgeformten Popo jagen wollen.

    Der Popo ist stark aus der Mode gekommen. Wenn du dich impfen lässt, lass es in die Oberarmmuskulatur der nicht-dominanten Hand spritzen. Wenn es noch Ärzte geben sollte, die in deinem Alter den Po nehmen, ist es nicht korrekt.

  4. Ich bin zwar kein Freund von Versicherungen, aber ohne KV fliege ich nirgendwohin. Als ich einen Spinnenbiss in Australien hatte, kostete das ganze 500$, nur einmal im KH vorbeischauen, Hallo sagen und das „da können wir momentan nichts machen“ des Doktors hinzunehmen. 😂 Ich habe eine weltweite (auch Europa inkl.) 5-Jahres-Versicherung für 70€ mit der ich arbeite und reisen kann und die alles abdeckt und nach 5 Jahren verlängerbar ist. Passend zu meinen Überlegungen wie ich es bewältige meine KV bei meinem Familienbesuch behalte und die erlaubten 6 Wochen Aufenthalt/Jahr gescheit nutze, flattert der Beitrag ein. Also konnte ich mir in Europa eine KV grundsätzlich schenken, da Ärzte verpflichtet sind im Notfall zu behandeln oder was gibt es da, was ich nicht weiß und fleißig zahle?

    • Andreas Moser schreibt:

      1) Wo gibt es denn so eine günstige Versicherung?
      2) Ich habe in den letzten Jahren noch meine britische EHIC genutzt, wobei die natürlich nur für Notfälle gilt. Aber zu etwas anderem geht man ja sowieso nicht freiwillig zum Arzt. Oder ich mußte eben selbst zahlen. Das war zwar mal teuer, als ich in Litauen einige Zahnbehandlungen benötigte, aber aufgrund der Seltenheit immer noch billiger als jahrelang in eine Versicherung einzubezahlen (von der man dann nie weiß, ob sie im Bedarfsfall wirklich bezahlen wird).

    • Ja wenn diese Versicherung für dich ausreichend war, ist das natürlich finanziell betrachtet sinnvoller. In Australien hatte ich noch eine Ambulance Cover abgeschlossen für 25$ im Jahr, da ich wegen Unterrichten ständig mit 4WD im Outback unterwegs war und Angst hatte, dass, falls ein Unfall passiert oder Auto ins Rollen gerät, der flying doctor Service oder allein die Ambulanzkosten nicht von meiner Versicherung getragen werden. Denn allein die Ambulanzkosten in der Stadt betragen schon 2500$ und das ist eine Menge Moneten. 😄 Je nachdem in welchen Ländern man sich befindet, finde ich die Investition in KV sehr sinnvoll. Denke einmal an Antiserumkosten oder Behandlung von gebrochenen Gliedmaßen. Als Malaria-Prophylaxe empfehle ich Malerone im Gepäck (andere führe häufig zu Halluzinationen, Hautveränderungen etc.), aber NUR in extrem gefährdeten Ländern wie Indien insbesondere während der Regenzeit. Ansonsten beschert das nur Probleme.

    • Andreas Moser schreibt:

      Sind die 70€ Beitrag pro Monat (das wäre unerschwinglich) oder pro Jahr (das wäre schon drin)? Und bei welcher Versicherungsgesellschaft gibt es das?
      Danke!

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  10. benediktkuehl schreibt:

    Danke für den Hinweis auf das mir bis Dato unbekannte Gesetz. Neben den je nach Umständen des Verschallens verschieden langen Fristen finde ich insbesondere § 30 I spannend: wenn ich als Verschollener fälschlich rechtskräftig für tot erklärt wurde, kann ich die rechtliche Rückkehr in das Reich der Lebenden beantragen, muss es aber nicht…

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