Amtliche Gastfreundschaft

Um während des unfreiwilligen Zuhausesitzens vom unbeschwerten Wandern zu träumen, lese ich mal wieder „Die Zeit der Gaben“, den ersten Teil einer Trilogie, die ich jenen ans Herz lege, die ohne TripAdvisor und einfach so darauf los reisen wollen. 1933 hatte der damals 18-jährige Patrick Leigh Fermor genug von der Schule und beschloss, zu Fuß von Holland bis nach Istanbul zu gehen. Ein gutes Beispiel dafür, dass man sich wegen ein oder zwei Jahren ausgefallenen Schulunterrichts keine allzu großen Sorgen machen muss. Schickt Eure Kinder einfach zum Pilgern!

Nach der Ankunft in Hohenaschau in Bayern beschreibt er Folgendes:

Ich hatte mich an einen Ratschlag gehalten, den der Bürgermeister von Bruchsal mir gegeben hatte, und mich gleich nach meiner Ankunft in dem kleinen Dorf bei seinem Amtskollegen gemeldet. Ich fand ihn im Gemeindeamt, und er füllte ein Formular für mich aus. Dies gab ich im Gasthaus ab und erhielt dafür ein Abendessen und einen Krug Bier, ein Bett für die Nacht sowie Brot und eine Schale Kaffee am folgenden Morgen, alles auf Kosten der Gemeinde.

Heute kommt mir das unglaublich vor, aber es ist die Wahrheit, und ich wurde nie wie ein Bettler behandelt; wo immer ich dieses Recht in Anspruch nahm, hieß man mich freundlich willkommen. Wie oft mag ich von diesem wunderbaren und offenbar uralten Brauch meinen Nutzen gehabt haben? In ganz Deutschland und Österreich war es so Sitte, wohl ein Überbleibsel alter Freundlichkeit gegenüber wandernden Mönchen und Scholaren, in deren Genuss nun alle armen Reisenden kamen.

Das ist aber praktisch! Und nett.

Weiß jemand von Euch Wanderfreunden, ob das noch immer so gehandhabt wird? Um den alten Brauch nicht einschlafen zu lassen, sollten wir es ausprobieren – und notfalls reaktivieren.

Gleichzeitig wäre es eine Möglichkeit zur Belebung des Gastgewerbes, das in nicht wenigen Orten dringend einer Belebung bedarf. (Siehe Kapitel 68 und 69 in diesem Wanderbericht.)

PS: Ich habe schon mal ein bisschen recherchiert (alte Juristenkrankheit), und bisher bin ich nur im Obdachlosenrecht fündig geworden. In Bayern ordnen die Empfehlungen für das Obdachlosenwesen in Ziffer 5.2.1 tatsächlich an, dass die Gemeinde obdachlose Wanderer auch in Gasthöfen oder Pensionen unterbringen kann. Da nach Ziffer 5.3 der Obdachlose dann aber zur Kostentragung herangezogen wird, hat das wohl nicht viel mit der von Patrick Leigh Fermor erlebten Gastfreundschaft zu tun.

In § 4 der Durchführungsverordnung zu § 72 Bundessozialhilfegesetz (mittlerweile außer Kraft getreten) habe ich übrigens eine poetische Beschreibung dessen gefunden, was ich manchmal mache. Der gute alte Landstreicher ist dort eine „Person, die ohne gesicherte wirtschaftliche Lebensgrundlage umherzieht“. Aber Sicherheit wird eh überbewertet.

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Über Andreas Moser

Travelling the world and writing about it. I have degrees in law and philosophy, but I'd much rather be a writer, a spy or a hobo.
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3 Antworten zu Amtliche Gastfreundschaft

  1. danysobeida schreibt:

    Sinceramente creo que la hospitalidad debe ser espontánea, así es mas agradable conocer a tus anfitriones, a propósito de senderismo, con las redes se ha desencadenado una verdadera fiebre aquí en Tarija donde vivo, mira esto. Minuto 3:58 auu! y que paisajes tan hermosos!! Espero que las instituciones responsables de conservar estos sitios se hagan su trabajo o lamentaremos la depredación de los visitantes. https://www.youtube.com/watch?v=ILQTRWobNEM

    • Andreas Moser schreibt:

      Uff, el parte a 3:58 realmente me da miedo!

      Yo tambien prefiero la espontanedad, por eso prefiero viajar sin telefono o internet. Es lo mejor encontrar gente en el campo que te invitan a su casa.
      Por la misma razon me encanta hacer el dedo. Porque cada coche es una nueva sorpresa.

  2. Pingback: Abkürzung durchs Atomkraftwerk | Der reisende Reporter

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