Je nach Bundesland darf man noch in den Garten oder in den Wald. Mal allein, mal zu zweit. Das ist besser als nichts, aber die Nachbarschaft wird bald langweilig. Außerdem kennt einen die Polizei schon, so dass man nicht viermal am Tag nach draußen gehen kann.
Als Fern-, Weit- und Wildwanderer ist mir der heimatliche Radius bald zu eng geworden. Ich finde die Regelungen zur Eindämmung des Coronavirus insgesamt sinnvoll, aber wenn ich jetzt zu Fuß die Alpen überquere und draußen schlafe, besteht weniger Ansteckungsgefahr als wenn ich ins Büro oder aufs Spargelfeld gehe.
So habe ich nachgedacht, sinniert und gegrübelt, bis mir die Lösung gekommen ist, die ich hiermit ganz uneigennützig und menschenfreundlich weitergebe: Ihr dürft Euch durch ganz Deutschland bewegen, wenn Ihr behaupten könnt, auf einer Pilgerreise zu sein.
Das geht natürlich nur zu Fuß. (Und vielleicht noch im Rollstuhl.)
Apropos Fuß, einen teuflischen Pferdefuß hat die Sache: Ihr müsst katholisch sein. Wobei man das einfach behaupten kann, zumindest wenn man, wie ich, den Namen eines der zwölf Weisen aus der Tafelrunde trägt.
„Warum nur Katholiken?“ protestieren die Protestanten. Tja, der Grund ist ein juristischer: Der Heilige Stuhl schloss 1933 ein Konkordat mit dem Deutschen Reich ab, in das die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolgerin eingetreten ist.
Nach diesem Konkordat in Verbindung mit den Canones 1230 und 1233 des Kodex des kanonischen Rechts sichert Deutschland den römisch-katholischen Pilgern das freie Geleit auf den als traditionell anerkannten Pilgerwegen zu.
Und davon gibt es eine Menge. Allein die ganzen Jakobswege führen aus jedem Winkel Deutschlands bzw. Europas nach Santiago de Compostela am Atlantik. Wenn Ihr Euch die Liste anseht, werdet Ihr überrascht feststellen, dass auch bei Euch zuhause eine der Zubringertrassen vorbeiführt. In meinem Fall ist es zB der Fränkische Jakobsweg, der dann an den Fränkisch-Schwäbischen und den Oberschwäbischen Jakobsweg anschließt. Und schwupp bin ich von Bayern zum Bodensee gewandert.
Und jetzt kommt der Clou: Weil das Konkordat mit dem Deutschen Reich bzw. kraft Rechtsnachfolgerschaft mit der Bundesrepublik Deutschland geschlossen wurde, können die Ausgangsbeschränkungen, die von den Bundesländern erlassen wurden, dieses nicht brechen. Für völkerrechtliche Verträge ist der Bund zuständig (Artikel 32 Absatz 1 des Grundgesetzes), nicht die Bundesländer. Und Bundesrecht bricht Landesrecht (Artikel 31 des Grundgesetzes).
Außerdem erlaubt Artikel 1 Absatz 2 des Reichskonkordats von 1933 die Einschränkung der Rechte der Kirche und der Gläubigen nur durch Gesetz. Die Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbote der Bundesländer sind jedoch nicht durch Gesetz, sondern durch Verordnungen oder Allgemeinverfügungen erlassen worden. Auch aus diesem formellen Grund bleiben die Pilgerrechte unberührt. (Als Jurist und angehender Historiker darf ich nicht verschweigen, dass die Lage in einigen Bundesländern dadurch verkompliziert wird, dass der Heilige Stuhl bereits 1924, 1929 und 1932 Konkordate mit Bayern, Preußen und Baden abgeschlossen hatte, die durch das Reichskonkordat 1933 nicht aufgehoben wurden. Aber das würde jetzt zu sehr ins Detail führen und den preußichen Leserinnen und Lesern schmerzlich den Untergang ihres einstigen Ländchens vor Augen führen.)
Zudem gilft für (ernsthafte) Pilger die Freiheit der Religionsausübung aus Artikel 4 Absatz 2 des Grundgesetzes, der das Bundesverfassungsgericht schon in der jüngsten Corona-Rechtsprechung einen besonderen Stellenwert eingeräumt hat. Um auf Nummer sicher zu gehen, solltet Ihr also religiöse Texte wie die Bibel oder den Codex Iuris Canonici mitschleppen. Auch der traditionelle schwarze Pilgerhut würde nicht schaden.
Ich wünsche eine gute Reise.
Gott sei mit Euch!
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Für einen Juristen untypisch, streue ich diesen Rat kostenlos unters Volk, wie einst Jesus am See Genezareth. Aber natürlich freue ich mich über Anerkennung und Unterstützung für diesen Blog und verspreche im Gegenzug weiterhin juristisch und theologisch fundierte Ratschläge für alle Lebenslagen.
Und schickt diesen Hinweis doch an Eure Wanderfreunde, denen zuhause schon die Decke auf den Kopf fällt!
Tja, da hab ich Pech. Ich scheitere ja schon an einer ordentlichen Stadtwanderung, weil mir die Toiletten fehlen.
Aber du kannst an jedem Kloster nach einem Klo anklopfen.
(Wow. Eine dreifache Klo-Alliteration.)
In Berlin? Und Kontaktsperre …
Die Kontaktsperre gilt ja nicht fürs Pilgern, das steht doch im Artikel.
Und der Jakobsweg geht doch durch Bernau.
Der geht soweit ich weiß durch Berlin sogar … hilft aber nichts. Ich bin nicht katholisch und Öffis fahre ich lieber nicht.
Erkläre das mal einem Polizisten ……
Aber interessant nebenbei zu lesen, dass du endlich was vernünftiges lernst. 😉
Oh ja, am besten druckt man den Artikel aus und steckt ihn gleich in den Pilgerrucksack.
Wenn deine Freiheit darin liegt, daß zu tun, was Du willst, brauchst Du niemand zu fragen. Geh Wandern, wundern oder zum Wasserski. Oder?
#sapereaude
Interessant. Welche Bundesländer haben in ihren Landesverordnungen das Wandern verboten?
Wenn Du allerdings auf einen Polizisten stößt, der selbst erfahrener Pilger ist, wird er Dir schnell was erzählen können, wo die anerkannten Pilgerwege NICHT verlaufen… 🙂 Lösung: Spiel nicht nur Pilger. Werde ein echter Pilger. Happy trails.
Super! Endlich mal ein juristisches Geschreibsel, dass mir zu Gute kommt, statt gegen mich steht!
Frage, was könnte Dir schlimmstenfalls passieren? Wirst ja nicht gleich ins Zuchthaus kommen.
Meine Erfahrungen, Polizisten sind auch Menschen und auch menschlich.
Ja, aber nicht in Bayern. Da weht ein anderer Wind.:)
Das kann ich bestätigen. Die Polizisten in Bayern ticken ein wenig anders.
Ich habe einmal eine Anzeige wegen Steuerhinterziehung von den bayrischen Ordnungshütern bekommen weil ich etwas Totholz für mein Permakulturprojekt am Wegesrand gesammelt hatte. Ebenfalls eine Diebstahlanzeige weil ich bei der Polizei einen Fundgegenstand abgegeben hatte. Kann man verstehen – muss man aber nicht.
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Hallo Andreas,
ich habe davon gehört allerdings nicht bis in die Tiefe geforscht so wie Du. Mir macht es auch keinen Spaß immer mit dem einen Fuß im Knast zu pilgern, also ständig schauen ob da Niemand ist der einen evtl denunziert. Die miese Allgemeinstimmung und die vielen geschlossenen Pilgerherbergen tun ihr übriges zu meiner Ablehnung.
Ja, das mit den geschlossenen Herbergen ist echt ein Problem. Vor allem weil meist die günstigen Unterkünfte (Jugendherbergen, Pilgerherbergen) schließen und nur die teuren geöffnet bleiben.
Für Leute des kleinen Budgets ist das nicht so ganz optimal.
Was die Stimmung anbelangt, bin ich mir aber gar nicht sicher, ob die so mies ist.
Ich war im Sommer 2020 in Bayern Wandern, auf dem König-Ludwig-Weg: https://andreas-moser.blog/tag/koenig-ludwig-weg/ – Es war zwar vieles geschlossen, aber weil Sommer war, konnte ich auch draußen übernachten. Und es war deutlich zu merken, dass die Leute irgendwie netter, offener, weniger gestresst waren als sonst. Es gab viel mehr Gespräche am Gartenzaun als in vor-Corona-Jahren, und auch immer mal wieder eine Einladung, doch bei jemandem zu übernachten (zB in der Villa am Ammersee in Episode 3).
Ich hatte damals den Eindruck, dass die Leute, die ja selbst nicht weit verreisen konnten, sich freuten, wenn zumindest mal ein Wanderer vorbei kam. (Aber natürlich kann sich das mittlerweile aufgrund Ermüdungserscheinungen auch geändert haben. Ich werde im Frühjahr mal wieder Wandern gehen und es testen.)
Ich war im September 2020 in Spanien und habe festgestellt, dass die Maßnahmen und das ständige Maske tragen bei den meisten einen gewissen Unmut hervor rief. Des weiteren ist das Kontaktverbot so einschneidend. Damals feierten wir an den Etappenzielen uns und unser Tagespensum, 2020 ging man maximal zusammen zum Essen. Kein „High-5“, keine Umarmung, Kein „Handshake“ weil jeder jeden unter Generalverdacht stellt.
Ich gehe dieses Jahr ab Mai wieder los und hoffe, dass es sich „normalisiert“.
Wobei Generalvorsicht während einer Pandemie ja nicht ganz falsch ist.
Viel Spaß im/ab Mai!
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