Atomares Endlager? Das ist doch kein Problem!

Die Bundesregierung gesteht ein, dass ihr jeglicher Gesamtüberblick über den deutschen Atommüll fehlt, verdoppelt aber mal locker die geschätzte Menge. Tausende von Fässern mit radioaktiven Abfällen sind schon am Verrosten.

Angesichts dieser politischen Inkompetenz wollte ich mich an die Wissenschaft halten und hörte mir einen 1955 von Werner Heisenberg gehaltenen Vortrag an, in dem er sich für (west)deutsche Kernkraftwerke ausspricht. Die Rede immerhin eines Nobelpreisträgers für Physik ist ein bewundernswert eindeutiges Zeitdokument über die menschliche Hybris im Umgang mit der Kernenergie. Große Fortschritte seit damals sind nicht erkennbar.

„Was soll diese Endlager-Diskussion? Das habe ich doch schon 1955 gelöst.“

Ihr könnt Euch die Rede im knistrigen Original anhören oder Euch auf die folgenden Höhepunkte konzentrieren:

Alle wissenschaftlichen Fragen in dem Zusammenhang [des Baus von Kernkraftwerken] sind inzwischen längst gelöst. [bei 2:00 Minuten]

Wenn ein Wissenschaftler sagt, dass alle Fragen gelöst sind, sollte man hellhörig werden.

Den Betrieb [von Kernkraftwerken] würde man ja wohl schnell erlernen. [4:50]

Das hört sich an, wie wenn es um das Erlernen des Fahrradfahrens ginge.

So wird man jetzt die Versuchsstation so rasch wie irgend möglich einrichten sollen und sich daher zunächst auf das unbedingt Notwendige beschränken. [9:22]

Genau. Erst einmal bauen.

In der letzten Zeit ist nun oft über den Standort der Station gesprochen worden, und es sind gelegentlich Besorgnisse geäußert worden, auf die ich hier mit ein paar Worten eingehen möchte.  [15:13]

Jetzt kommt die Lösung der Endlagerfrage:

Die Errichtung einer derartigen Station in der Nähe einer großen Stadt bedeutet keinerlei Gefährdung für die Bevölkerung oder für die Wirtschaft dieser Stadt. Man denkt bei dieser Gefährdung ja an eine mögliche Verseuchung der Luft oder des Grundwassers mit radioaktiven Substanzen. Bei den flüssigen und festen Abfallstoffen ist diese Sorge völlig unbegründet, denn natürlich denkt niemand daran, sie mit dem Abwasser zusammen in Flüsse oder in die Erde zu leiten. Vielmehr werden die Abfallstoffe … sorgfältig gespeichert, nach Abschwächung ihrer radioaktiven Strahlung aufgearbeitet und schließlich verpackt und weit vor der Küste ins Meer versenkt. An der Stelle ist die Beseitigung der radioaktiven Abfälle kein wirkliches Problem. Schwieriger ist es, die radioaktive Verunreinigung der Luft völlig zu vermeiden. Aber man kann und muss natürlich durch Maßnahmen … dafür sorgen, dass die Luftradioaktivität schon im Bereich der Station immer so niedrig bleibt, dass sie die dort arbeitenden Menschen nicht im geringsten gefährdet. [15:28]

Da die nächste städtische Siedlung noch einmal 10 bis 20 km von der Station entfernt liegen wird, ist dort natürlich jede Gefährdung ausgeschlossen. [16:44]

Interessant fand ich auch die nur 10 Jahre nach dem Ende des Holocaust stolz getroffene Aussage, dass

die chemische Industrie in Deutschland immer relativ stark war. [4:25]

Ob der Vortrag von der I.G. Farben finanziert wurde?

Mit diesem im launigen Heinz-Erhardt-Duktus gehaltenen Vortrag, der auf alle Fragen und Einwände eine – wenn auch knappe – Antwort hatte, begann also das westdeutsche Atomzeitalter. Nach dem gesellschaftspolitischen und militärischen Größenwahn kam der technische Größenwahn. Mit dem Atommüll werden wir noch Jahrtausende zu tun haben.

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Über Andreas Moser

I am a lawyer in Germany, with a focus on international family law, migration and citizenship law, as well as constitutional law. My other interests include long walks, train rides, hitchhiking, history, and writing stories.
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8 Antworten zu Atomares Endlager? Das ist doch kein Problem!

  1. nietzschi schreibt:

    Wo ist das Problem mit dem Kommentar mit der Chemieindustrie? Sie sind offensichtlich nicht sonderlich vertraut mit den Kommunikationsformen von Naturwissenschaftlern, speziell den mathematischen Naturwissenschaften. Es ist eine objektive Tatsache, dass die Chemieindustrie immer sehr stark war und nicht anders ist es gemeint. Sie scheinen nur zu suchen, was Sie finden möchten und unterstellen können. Ich finde es eher eine Hybris ggüber Heisenberg sich heute hinzustellen und dessen mangelnde Weitsicht anzuprangern. Ich hoffe Sie verfassen bald ein ähnlichen Eintrag über Aristoteles und die Sklavenfrage. -.-

    Eine Frage noch am Rande, da mir wohl etwas entgangen ist, wieviele Menschen sind an der Strahlung in Fukushima noch einmal unmittelbar gestorben?

    • Andreas Moser schreibt:

      Die Stärke der deutschen Chemieindustrie mag durchaus eine objektive Tatsache sein. Wichtiger finde ich aber die Tatsache, daß die deutsche Chemieindustrie ihre Fertigkeiten bereitwillig und ohne moralische Bedenken auf den Absatzmarkt des Massenmordes umgestellt hatte.

      Ich finde es schockierend, wie geschichtsvergessen Heisenberg schon 1955 sprach. Gerade, daß er nicht das „von 1939 bis 1945 unter Beweis gestellte deutsche Organisationstalent bei europaweiten Projekten“ anführte.

    • nietzschi schreibt:

      Gut. dann bleibt die allgemeine Analyse und dem kann man nicht viel hinzufügen (was nicht sehr überraschend ist). Zudem ist noch eine sehr häufige Eigenart von Mathematikern und Physikern benannt worden. Aber sonst? Es stellt sich die Frage, ob:

      1. wieso sie meiner Frage aus dem Weg gehen?
      2. diese Verstrickungen der Industrie nun eine besonders neue, kreative und hervorzuhebende Erkenntnis ist, über die solche Allgemeinweisheiten verbreitet werden müssen?
      2. der Spannungsbogen legitim ist von „[Heisenberg:] die chemische Industrie in Deutschland immer relativ stark war.“ zu => „Ob der Vortrag von den I.G. Farben finanziert wurde?“ => Heisenberg ist ein geschichtsvergessener Holocaust-Verharmloser einer Logik folgt.

      Ich meine eher, dass hier Sachen miteinander vermischt werden, die nichts miteinander zu tun haben und nun auch das geliebte _Tabuthema_ Holocaust mit Atomenergie in Verbindung gebracht werden kann. Nicht nur, dass das die eigentliche Relativierung darstellt, nein es ist vollkommen zusammenhanglos und zeigt viel eher, dass man in der Atomfrage doch gerne nur emotionalisiert spricht.

      Ich möchte mal noch eine 4te Frage anhängen, wie viele Leute leben heute in Nagasaki und Hiroshima? Und wieso rennen die nicht alle als grün leuchtende Zombies herum? Es wurde ja alleine in Hiroshima alleine etliche Kilo Plutonium abgeworfen … die Negativität des Seins an sich.

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  4. Anonymous schreibt:

    Das erinnert daran, dass der erste Kernreaktor tatsächlich in einer Stadt errichtet wurde. Chicago Pile 1 wurde unter einer stillgelegten Sporttribüne des Football-Stadions „Stagg Field“ auf dem Campus der University of Chicago errichtet (lt. Wikipedia).

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