Wenn man in Deutschland durch Dörfer und Kleinstädte geht, sieht man immer öfter Gärten, die nicht mehr aussehen wie Gärten, sondern wie KZ-Gedenkstätten. Ganz grau und trist. Viel Stein und Beton. Wie wenn jede Pflanze und jedes Tier ausgemerzt werden müssen, ganz im Einklang mit dem beliebten germanischen Gartenratgeber „Mein Kampf gegen das Unkraut“. Absoluter Vernichtungswille, wie er die deutsche Nation von Zeit zu Zeit kollektiv befällt.

Das ist hässlich. Potthässlich. Grauenhaft.

Solche Gärten, die den Namen nicht mehr verdienen, sind lebensfeindlich. Hier singen keine Vögel. Hier summen keine Bienen. Und wer in so einem Garten der Grauens eine Katze hält, darf sich nicht wundern, wenn diese alsbald abskondiert oder sich suizidiert. Aufgehängt am Alibi-Bonsaibäumchen.

Deprimierend ist dieser hortikulturelle Horror obendrein. Wer will denn so etwas sehen, wenn er aus dem Fenster sieht? Das können doch nur absolute Spießer sein, wahrscheinlich solche, bei denen die Wohnung zu jeder Zeit frischgeputzt und aufgeräumt aussieht. Da wohnen wahrscheinlich die Leute, die die Polizei rufen, wenn in der Nachbarschaft jemand grillt.
Aber eins muss ich zugestehen: Steingärten haben Tradition. Sie gehen zurück auf das Frühjahr 1945, als in Deutschland die Vorgärten so aussahen:

Und diese historische Referenz kann kein Zufall sein. Denn die Steinmauern oder Gabionen, die man ohne dieses Hintergrundwissen leicht als das hässlichste Element dieser hässlichen Projekte abtäte, sind in Wirklichkeit Gedenkstätten für die Trümmerfrauen.

Das Problem dabei ist jedoch, liebe Freunde des Steinbruchs, dass die Geschichte von den Trümmerfrauen weitgehend ein Mythos ist. Die Trümmerräumung war eine hoch stigmatisierte Arbeit, die während der NS-Zeit Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge verrichten mussten. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg überlebte die negative Konnotation dieser Arbeit, so dass die Alliierten deutsche Kriegsgefangene und NSDAP-Mitglieder zum Schuttwegräumen zwangen. Wenn Oma stolz erzählte, dass sie ganz allein Köln oder Nürnberg aufgebaut hat, dann war sie also wahrscheinlich ein Nazi.
Nur 1945/46 und nur ganz regional begrenzt, vor allem in Berlin und in der sowjetischen Besatzungszone, wurden teilweise Frauen zum Wegräumen des tausendjährigen Schutts verpflichtet. Meist nutze man dafür, was ja auch irgendwie Sinn ergibt, Maschinen.

Die Geschichte, dass die Frauen nach 1945 praktisch allein und freiwillig ganz Deutschland aufgeräumt und aufgebaut hätten, ist arg übertrieben. Sie entstammt dem Wunschdenken, die Zeit des Nationalsozialismus und der Niederlage möglichst schnell mit einer positiven Erzählung zu übertünchen. Die Konfrontation mit den Fakten zeigt, dass nicht alles stimmt, was Oma und Opa erzählt haben. Andererseits sind auch die nachfolgenden Generation nicht ganz unschuldig, glauben sie doch gerne das, was die Familie in besserem Licht dastehen lässt.
Links:
- Mehr schonungslose Aufklärung über die Geschichte.
- „Gärten des Grauens“, ein erschütternder Bildband des Biologen Ulf Soltau.
- „Mythos Trümmerfrauen“, die Dissertation von Leonie Treber. Das Buch gibt es auch im günstigen Sonderdruck bei der Bundeszentrale für Kleingärten und politische Bildung.
Man muss immerhin einräumen, dass diese Menschen reichlich Wasser einsparen, denn sie müssen ihren Vorgarten ja nicht gießen;)
Aber dafür halten die Steine das Regenwasser nicht so zurück wie Erde, Gras und Bäume, was zu Überschwemmungen führt. (Außer sie bauen eine riesige Zisterne wie einst auf Masada.)
Ja natürlich, ich wollte ja nur vom grauenden Grauen ablenken… Schöner Buchtipp von dir mit ansprechenden Fotos 👍
Das wäre ein gutes Geschenk, wenn einen so Steinbruchleute zur Hauseinweihung einladen. 🙂
Ich kenne das Buch noch nicht, aber auf der Facebook-Seite von „Gärten des Grauens“ sind die Fotos meist mit Kommentaren garniert, die so scharf sind wie Glyphosat.
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Solche Gärten sind super! So gibt es noch weniger Insekten und Vögel. Ich könnte mir auch vorstellen, dass die meisten Igel dann ausziehen. Sie tragen außerdem zur innerörtlichen Erwärmung bei. Die können wir ja besonders gut gebrauchen die letzten Sommer.
Wenn sie wenigstens zu weniger Schlangen führen würden, dann könnte ich ihnen etwas abgewinnen. Aber ich fürchte, diese Biester sind die einzigen, die Steine lieben.
Ich habe übrigens gerade gemerkt, dass ich Igel so süß finde, dass ich schon bei ihrer Erwähnung in Verzückung gerate.
Da werden auch keine Schlangen bleiben. Die finden ja nix mehr zu fressen 🙂 Es gibt Bestrebungen solche Gärten zu verbieten. Ich bin kein Fan von Verboten, aber solche Gärten sind tatsächlich verheerend für die Umwelt und stellen das genaue Gegenteil dessen dar, was angestrebt werden sollte. Mehr Natürlichkeit.
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Widerlich. Damals und heute. Nur etwas für Leute denen jegliches Naturverständnis fehlt.
Danke für die immerwährende Inspiration. Ihre Artikel erweitern mein Bewusstsein wie eine Droge! Ich nehme heute noch eine Dosis von 2 Gigabyte Andreas Moser über meine Glasfaserleitung 😉 Bravo und weiter so!
Liebe Grüße
Dabei war das nur ein kurzer Wutausbruch über die Verhässlichung der Vorgärten und die Vermythologisierung der Vergangenheit, sowie im Hinterkopf über die Berzögerung bei dem eigentlichen gegenwärtigen Projekt, dem Artikel über meine Wanderung durch Bayern zu den Schlössern Königs Ludwig II. Wenn das mal fertig ist, dann benötigen Sie aber wirklich 2 Gigabyte dafür!
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In meiner Heimatstadt sind diese Steingärten inzwischen bei Neubauten/Neuanlagen verboten. Gab natürlich einen Aufschrei, Diktatur und so. Und dass es die Gabionen aus Industriegebieten und von Autobahnrändern mit Lärmschutz-Installationen in die Vorgärten geschafft haben – ein Rätsel der Menschheit.
Das geht sicher noch bis zum Bundesverwaltungsgericht. 🙂
Aber ich frage mich auch, wie man das ästhetisch schön finden kann.
Am absurdesten finde ich, wenn vor so Steinmauern und Schottergärten dann eine Plastikfolie gespannt wird, auf der eine schöne Blümchenwiese abgedruckt ist. Alles schon gesehen. (Leider habe ich oft keine Kamera dabei.)