Bunkerzweitnutzung

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In Italien war ziemlich oft Krieg.

Illyrische Kriege. Eritreakrieg. Erster Weltkrieg. Unabhängigkeitskrieg. Samnitenkriege. Zweiter Weltkrieg. Italienisch-Türkischer Krieg. Erste Isonzoschlacht. Alexandrinischer Krieg. Zweite Isonzoschlacht. Italienisch-Libyscher Krieg. Dritte Isonzoschlacht. Kimbernkriege. Vierte Isonzoschlacht. Italienisch-Griechischer Krieg. Augusteische Alpenfeldzüge. Fünfte Isonzoschlacht. Afrikafeldzug. Sechste Isonzoschlacht. Sardinischer Krieg. Siebte Isonzoschlacht. Gotenkrieg. Achte Isonzoschlacht. Jugurthinischer Krieg. Neunte Isonzoschlacht. Abessinienkrieg. Zehnte Isonzoschlacht. Markomannenkriege. Elfte Isonzoschlacht. Pyrrhischer Krieg. Pyrrhische Isonzoschlacht.

Deshalb stehen in Italien überall Festungen, Schützengräben und Bunker.

Wenn Euch das bisher noch nicht aufgefallen ist, dann nur deshalb, weil in Italien auch sonst allerhand interessantes Zeug herumsteht. Oder weil Ihr nur an den Strand wollt, was eigentlich eine Italienverschwendung darstellt und wofür Ihr den Platz im Reisebus für historisch interessierte Urlaubswillige freimachen solltet. Oder weil Ihr noch nie in Italien wart, in welchem Fall ich empfehle, diesen Missstand zu beheben.

Die meisten dieser Bunker sitzen einfach nur rum und warten auf ihren nächsten Einsatz. Aber im Vinschgau bin ich auf ein paar Exemplare gestoßen, die einer zivilen Bunkerzweitnutzung zugeführt wurden. So wie dieser Bunker, der in eine Apfelplantage integriert wurde. Das sind aber auch ganz besondere Äpfel hier in Mals, die sind ständig vor Gericht wegen Pestizidstreitigkeiten und so. Vielleicht müssen sie deshalb vor dem Zugriff der Luftstreitkräfte des Landesgerichts geschützt werden.

Auf dem Weg von Mals nach Schluderns hatte ich mich zwischen Wäldern, Feldern und Apfelplantagen irgendwie verlaufen. Das machte aber nichts, denn erstens bin ich ein großer Verfechter des Verlaufens. Wer sich nie verläuft, hat ein fades Leben. Zweitens war ich zum ersten Mal im Vinschgau, so dass es überall neu und interessant für mich sein würde, egal wohin ich käme.

Und plötzlich stand ich oberhalb von Tartsch vor einem Bunker, so etwas habt Ihr noch nicht gesehen!

„Ein Künstler“, tippe ich detektivisch scharf, nicht nur wegen des Wohnwagens und der kreativen Dachterrasse mit Palisadenzaun und Spielplatz, sondern auch weil am späten Vormittag noch niemand auf mein Klingeln reagiert. Diese Künstler schlafen ja oft bis mittags. (Mit Ausnahme der Reiseblogger, die schon frühmorgens über Stock und Stein wandern, um Material zu sammeln.)

Auf der anderen Seite des Tals, über Tartsch, erblicke ich ein romanisches und romantisches Kirchlein, das ich zum nächsten Wanderziel auserkore und ausnahmsweise nicht verfehle.

Dort kommt, als ich vor der eigentlich verschlossenen Kirche sitze und eine am Morgen in Mals erstandene italienische Toscano-Zigarre rauche, zufällig ein Herr vorbei, der nicht nur den Schlüssel zur Kirche, sondern auch ein enzyklopädisches Wissen und viel Geduld mit mir Ungebildetem hat. Er zeigt mir, nachdem ich die Zigarre vor der Tür gelassen habe, die Fresken in der Kirche und erzählt über die Geschichte von St. Veit, über den Tartscher Bichl, über Romanik, Gotik und den Engadiner Krieg.

Das überspringe ich jedoch für den Moment und hebe es für den umfassenden Vinschgau-Artikel auf, der, so Gott will, in den kommenden Monaten erscheint. Der Kirchenmann kennt sich nämlich auch mit den Bunkern auf der gegenüberliegenden Seite des Tals aus.

„Die stammen aus dem Zweiten Weltkrieg“, korrigiert er meine Fehlannahme, dass es Überbleibsel aus dem Alpenkrieg im Ersten Weltkrieg wären.

„Aber im Zweiten Weltkrieg war doch hier gar keine Front?“

„Mussolini hat die gebaut, weil er der Allianz mit Hitler nicht traute. Man nennt diesen Alpenwall deshalb auch ‚linea no mi fido‘, also ‚Ich-trau-dir-nicht-Linie‘.“ Wenn ich wüsste, wo ich schauen muss, könnte ich hier oben in den Bergen noch viel mehr Bunker und Panzersperren finden. Eine größenwahnsinniger als die andere, wie es bei faschistischen Großprojekten so üblich ist.

Im Zweiten Weltkrieg waren die Bunker allerdings nicht so leicht zu erkennen wie jetzt, sondern waren – landschafstypisch – als Bauernhöfe oder Scheunen getarnt.

Der künstlerisch gestaltete Bunker gehörte tatsächlich einem Künstler, der jedoch vor drei Jahren beim Hantieren mit alter Munition ums Leben kam. Seither steht das Riesenatelier leer. Vielleicht könnte man daraus eine Herberge für vagabundierende Schriftsteller machen, winke ich mit einem der Zaunpfähle von der Dachterrasse.

In Mals übernachte ich gewissermaßen auch in einem Bunker. Die ehemalige Kaserne der Finanzpolizei hat gerade als Hostel eröffnet. Die Finanzpolizei in Italien ist eine Kombination aus Zoll und Polizei zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität, aber militärisch organisiert und ausgestattet, mit Fregatten, U-Booten, Flugzeugen, Helikoptern, Fallschirmspringern, Gebirgsjägern, Kampftauchern, Scharfschützen und sogar Juristen.

(Foto aus La Maddalena, einer Insel im Norden von Sardinien. Ach, von dort hätte ich eigentlich auch noch zu erzählen… Aber bleiben wir erst einmal in Norditalien.)

Nun, und deshalb hat die Finanzpolizei eben Kasernen für ihre Finanzpolizisten, für ihre Waffenlager und um die beschlagnahmten illegalen Reichtümer (und welcher Reichtum ist nicht illegal?) zu lagern. Die Wände des Gebäudes sind so massiv, dass sie dem Beschuss von Panzerfäusten standhalten, erklärt mir Sascha, der Herbergsvater, und weil er auch ansonsten noch allerhand erklärt und mich zum Abendessen einlädt, bleibe ich ein paar Tage, in denen ich mich wie zuhause fühle. Sascha erzählt so viel, das muss dem endgültigen Vinschgau-Artikel vorbehalten bleiben, denn heute geht es nur um die bauliche Nachnutzung von militärischen Gebäuden.

Die FinKa, wie die ehemalige Finanzkaserne jetzt wortspielerisch heißt, schafft es, ihre einstige Nutzung nicht zu verleugnen, aber dennoch urgemütlich zu sein und dabei den 08/15 Hostel-Flair zu vermeiden. Im Eingangsbereich stehen noch die alten Holzklappstühle, in den Fluren quietschen noch die Gittertüren. Der Polizistenspeisesaal ist jetzt ein Gästespeisesaal, der Polizistenrumlümmelraum ist jetzt der Gästeausruhraum, und so weiter. Eigentlich brauchen Touristen ja auch nichts anderes als Polizisten, was man sich in der Marktwirtschaft kaum zu schreiben traut, weil sonst bald eine der beiden Gruppen wegrationalisiert wird.

Tja, zu spät. Die Finanzkaserne in Mals wurde tatsächlich 2005 aufgelassen. Wegen des Schengener Abkommens waren in den Bergen keine Grenzkontrollen mehr notwendig. Und so können sogar Anfänger wie ich Zigarren nach Österreich schmuggeln. Die Finanzpolizei düst jetzt nämlich hauptsächlich in der Adria herum, um fettere Fische zu fangen.

Ach ja, die Schmuggelroute von Albanien nach Apulien bin ich auch schon mal gefahren, allerdings in vollkommen unschuldiger Absicht und harmlos auf dem Deck des Dampfers dösend.

ferry into sunset

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Über Andreas Moser

I am a lawyer in Germany, with a focus on international family law, migration and citizenship law, as well as constitutional law. My other interests include long walks, train rides, hitchhiking, history, and writing stories.
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14 Antworten zu Bunkerzweitnutzung

  1. Fregatten? U-Boote? Beides wirklich nicht im Bestand, bei 460t auf 58 m ist Schluß. Das für Taucher irgendwas mit Motor vorhanden ist, möchte ich nicht ausschließen. Grundsätzlich waren ALLE bewaffneten Einheiten Italiens inklusive der Förster für die Landesverteidung vorgesehen.

    • Andreas Moser schreibt:

      Vielleicht kommt das noch, wenn sie solche Schiffe von Drogenschmugglern beschlagnahmen…

      Ja, ich war auch überrascht, als ich bei einem Umzug in Bari mal Angehörige des Corpo Forestale gesehen habe, die sehr militärisch aussahen. Mit Säbeln und so.

      Aber gut, wenn man all diese Behörden als Kombattanten deklariert, dann nervt die NATO vielleicht nicht ständig wegen des 2%-Ziels. 😉

    • festus schreibt:

      Das Corpo Forestale gibt es (außer in den autonomen Regionen) nicht mehr, die sind zwangsweise vor allem in die Carabinieri überführt worden. Vorher hatten sie neben Säbeln und sonstigem historischen Gedöns auch Sturmgewehre und andere Infanteriewaffen.

  2. festus schreibt:

    Die haben übrigens auch alle tatsächlich als geschlossene Einheiten bis Bataillonsgröße oder so geübt. Die deutschen Bereitschaftspolizeien in Bund und Ländern auch noch bis irgendwann in den 90ern. Zum 2% Ziel äußere ich mich als höflicher Mensch besser nicht.

    • Andreas Moser schreibt:

      Na gut, der Bundesgrenzschutz war ja lange Zeit auch eher Militär als Polizei. (Mein Vater war da in den 1960ern beim Wehrdienst, und wenn man sich die Fotos ansieht, sieht das aus wie bei der Wehrmacht, nur mit fescheren Frisuren.)

    • festus schreibt:

      Dein Vater hat juristisch Wehrersatzdienst geleistet: Polizeivollzugsdienst war ausdrücklich kein Wehrdienst. Später und theoretisch bis heute konnte man sogar grenzschutzdienstpflichtig werden, wenn nicht genug freiwillige Bundespolizisten zusammenkommen.

    • Andreas Moser schreibt:

      Genau! Das war der Ersatzdienst, aber ohne Verweigerung.
      Ich habe dann später etwas ähnliches gemacht, beim Roten Kreuz, aber da kam ich ziemlich billig weg:

      Das war die Wehrpflicht

  3. sinnlosreisen schreibt:

    Kompliment für diesen perfekten Überblick zum italienischen Verteidigungsanlagenbau. Es geht doch nichts über einen wertstabilen Bunker in zeitloser Architektur, schnörkellos, funktional und in bester Lage. Bei den überhitzten Immobilienpreisen eine echte Alternative für den langfristig orientierten Investor.

  4. Pingback: Living in a Bunker | The Happy Hermit

  5. Pingback: Vor hundert Jahren fanden die Faschisten, dass Deutsch eine hässliche Sprache ist – April 1923: Italienisierung | Der reisende Reporter

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