Auf dem Dorf in Ungarn

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Einer der Aspekte, der mir am meisten am Housesitting gefällt, ist der Zufallsfaktor.

Manchmal werde ich in Großstädte wie WienBerlin oder Stockholm eingeladen. Orte, die jeder mindestens einmal im Leben besuchen möchte. Wo es eine Menge zu sehen gibt, mit einem reichhaltigen kulturellen Angebot, und wo man neue Leute kennenlernt. (Na gut, vielleicht nicht in Stockholm.) Städte, in denen sich niemand wundert, dass man dorthin fährt.

Aber genauso oft werde ich in kleine Dörfer eingeladen. Orte wie OberstenfeldVenta Micena oder Chastre. Gemeinden, von deren Existenz ich zuvor noch nie gehört hatte. Dörfer, die ich ansonsten niemals besucht hätte. Wo sich jeder fragt, was zum Henker ich dort mache.

Mir gefallen beide Katzegorien gleichermaßen, vor allem, wenn sie sich abwechseln.

“Das Wortspiel war zum Fremdschämen.”

Zuerst sauge ich das Großstadtleben auf, mit allem, was es zu bieten hat. Dann ziehe ich mich aufs Land zurück, wo ich den ganzen Tag im Garten sitze und lese.

Diesen Monat ist mal wieder Landleben angesagt, und zwar in Lepsény. Das ist in Ungarn.

Hier werde ich kaum etwas Berichtenswertes erleben. Nicht zuletzt, weil Ungarisch für mich eine undurchdringbare Sprache ist. Fast keines der Wörter hat irgendeine Ähnlichkeit mit einer der Sprachen, die ich kann oder zumindest kenne. (Dabei hatte Ungarisch ursprünglich viel mehr Lehnwörter aus dem Lateinischen und dem Deutschen. Aber im 18. und 19. Jahrhundert, dem Zeitalter des Nationalismus, erfanden ungarische Sprachwissenschaftler Zehntausende von neuen Wörtern, die jene ersetzen sollten, die auch nur im entferntesten fremdsprachig klangen. Dankeschön!) Wenn ich in den Supermarkt gehe, kann ich nur Sachen erwerben, die offen verkauft werden, oder auf deren Packung ein Bild prangt. Wie ein Analphabet. Heute brauchte ich zum Beispiel Milch, also musste ich nach einem Karton suchen, auf dem eine Kuh abgebildet war.

Statt Geschichten gibt es aber ein paar Fotos, so dass Ihr Euch das Leben in einem typischen ungarischen Dorf vorstellen könnt.

Mich stört es gar nicht, eine Zeitlang in einem Dorf zu verbringen, solange mir die Gastgeber ein Auto zur Verfügung lassen oder – noch besser – wenn der Ort über einen Bahnhof verfügt. Da ich in einem kleinen Dorf in Bayern mit miserabler ÖPNV-Anbindung aufgewachsen bin, erstarre ich jedes Mal in Ehrfurcht, wenn ähnlich kleine Dörfer mit einem Bahnhof gesegnet sind.

Lepsény, mit einer Bevölkerung von gerade einmal 3.000 Menschen, hat nicht nur einen Bahnhof. Es hat sogar, und das hat mich echt umgehauen, eine Direktverbindung nach Budapest, nach Zagreb und natürlich in eine Menge anderer hübscher Städte.

Außerdem kann ich von hier aus jederzeit zum Plattensee spazieren.

Links:

  • Mehr Artikel über Ungarn.
  • Mehr zum Housesitting. Nach Kiew ist das erst mein zweites Katzensitting in Osteuropa. Dabei würde ich gerne öfter diesen Teil der Welt besuchen. Nur so als Hinweis, falls jemand jemanden kennt, der/die jemanden sucht, um auf Haus und Hof und Tiere aufzupassen.
  • Und mehr Fotos.

Über Andreas Moser

I am a lawyer in Germany, with a focus on international family law, migration and citizenship law, as well as constitutional law. My other interests include long walks, train rides, hitchhiking, history, and writing stories.
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17 Antworten zu Auf dem Dorf in Ungarn

  1. Christine Gorzitze schreibt:

    Danke für den interessanten und witzigen Blog. Mag gern deine/Ihre Blogs lesen.
    Lg Christine Liane

  2. Anke schreibt:

    Ich drücke die Daumen für das Einkaufen nach Bildern. Beim ersten Urlaub in Italien kaufte mal ein Verwandter Kaffeesahne in der Dose. War eine Kuh drauf. Als er sie am Frühstückstisch öffnete, war es Dosenrindfleisch. 🙈

    • Andreas Moser schreibt:

      Haha!
      Da hatte ich ja vergleichsweise Glück, als ich mal – ich weiß gar nicht mehr, wo es war – statt Milch zu Buttermilch oder Schlagrahm oder so etwas gegriffen hatte.

  3. Richard Hebstreit schreibt:

    SZEX IN UNGARN: Kenne einen Ort in Ungarn, da bellen sogar die Hunde „UNGARISCH“! https://www.bookrix.de/book.html?bookID=xrhebs_1291358927.5949819088#0,396,9216

  4. peregrina schreibt:

    Ob das mit dem Ersetzen der fremdsprachigen Woertern stimmt ,zweifle ich,denn die ungarische Sprache stammt nicht von den indoeuropaeischen sondern von den finno-ugrischen ab und hat deshalb eine sehr grosse Aehnlichkeit mit der tatarischen Sprache.
    z.B.In Braila ,wo Tuerken lebten, habe ich oft diese Sprache bei meinen Schuelern gehoert und spaeter festgestellt ,dass die grammatikalischen Endungen wie im ungarischen am Ende der Woerter stehen,was sie laenger macht .

  5. sinnlosreisen schreibt:

    Das sieht ja wirklich herrlich ländlich aus. Da spart man sich das Yoga-Retreat 😏. Wichtig: jeden Tag Zungenübungen machen, damit du in der Isolation das Sprechen nicht verlernst. Hoffentlich hast du genug Bücher dabei.
    Milch ist übrigens vergleichsweise einfach: Tej. Schwieriger wird es, wenn du die Polizei rufen musst: Segitség, Rendörség!

    • Andreas Moser schreibt:

      Das Wort für Milch kann ich mir sogar merken, glaube ich.
      Und ich merke, dass mich viele Leute mit „helló“ oder „szervusz“ begrüßen, so sehr muss ich mich also gar nicht umstellen.

      Wenn ich Leute kennenlerne, die es geschafft haben, Ungarisch zu lernen, frage ich mich immer, wieso man seine Intelligenz nicht lieber dazu verwendet, um Schach-Großmeister zu werden. Oder um dieses eine unlösbare Raum-Zeit-Diskontinuitätsequilibrium zu lösen.
      Aber vielleicht war das einfach nicht herausfordernd genug?

      Bücher habe ich tatsächlich genug dabei. Die nehmen auf solchen Reisen weit mehr als 50% des Platzes im Rucksack ein. Aber das Schöne ist, dass das Gepäck dadurch zunehmend leichter wird, wenn ich die Bücher ausgelesen habe und als Geschenk zurücklasse.
      Größere Sorgen macht mir mein schnell schwindender Zigarrenvorrat. Es gibt im Dorf zwar einen Tabakladen (die haben hier ein staatliches Monopol, so wie in Schweden für Alkohol), aber ich habe deren gesamten Zigarrenvorrat (es waren zwei Packungen) schon aufgekauft. Und ich konnte leider nicht auf Ungarisch erklären, dass sich eine Nachbestellung rentieren würde.

      Und zu den Zungenübungen fällt mir gerade auf, dass ich sowieso die ganze Zeit laut mit den Katzen spreche. Allerdings auf Deutsch, was vielleicht erklärt, warum ich mich manchmal nicht durchsetzen kann.

    • sinnlosreisen schreibt:

      😂😂😂Schach mag ich nicht und am Raum-Zeit-Rätsel war ich gerade nächstes Jahr dran, bevor ich wieder einen Rückschlag verkraften musste und in der Gegenwart landete.

    • Andreas Moser schreibt:

      Genau so fühlt sich mein Leben an. Jedes Mal, wenn ich zurückblicke und mich frage: „Was habe ich dieses Jahr eigentlich geschafft?“

      Wahrscheinlich liegt es an den Hunderten von Stunden, die ich mit Schachspielen vergeude.

  6. Kasia schreibt:

    Zum Thema Katzensitting werde ich mich mal erkundigen, ob ich in Polen eventuell jemanden kenne, der jemanden kennt, der jemanden kennt… 😉

  7. peregrina schreibt:

    im Text des Museums der ungarischen Sprache steht aber das Gegenteil ueber Lenhnwoerter,namlich die bewusste Erweiterung der ung.Sprache durch auslaendische,bzw.lateinische und deutsche Woerter…ich meinte auch keine gram.Strukturen sondern die total verschiedene Aufbau-Struktur zweier Sprachstaemme,die gar nichts Gemeinsames haben…

  8. Pingback: Heizen oder nicht Heizen? | Der reisende Reporter

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