Weil der kleine aber feine Unterschied zwischen Radeberg, Radeburg und Radebeul verwirrend genug ist, lest bitte vor diesem Artikel den ersten Teil dieser Wanderung. Wenn wir uns schon in den sächsischen Wäldern verlaufen, dann wollen wir es in der richtigen Reihenfolge tun.
Ordnung muss sein, es ist ja schließlich ein deutscher Wald.
Ihr erinnert Euch: Wir waren irgendwie in einen dubiosen Wald nördlich von Radeberg geraten.
Zusätzlich zu den herumstreunenden Killerhunden höre ich das Kreischen von Kettensägen. Verlassene Häuser tauchen auf. Es raschelt im Gebüsch. Eine Glasscheibe birst. Die Amseln, Finken und Meisen verstummen unter dem drohenden Gekrächze eines pechschwarzen Raben.





In den Fenstern hängen Dosen und stehen Kerzen. In einem Horrorfilm wären das Warnsignale, bei denen das Publikum entsetzt ausruft: „Geh da nicht rein!“ Aber ich habe kein Publikum, und wenn, dann erfreut es sich gewöhnlich an meinen Kalamitäten.



Ich bin ziemlich neugierig, das muss ich zugeben.
Andererseits bin ich noch ganz am Anfang der Wanderung. Jetzt schon aufgehängt oder zerstückelt zu werden, das wäre doof. So etwas hebt man sich doch lieber für den späten Nachmittag auf.
Natürlich treibt mich die Frage um, was das hier war. Es sind erkennbar keine Wohnhäuser, sondern irgendetwas Großes, Besonderes, Mysteriöses. Normale Leute würden jetzt googeln. Aber ich bin nicht normal. Wenn ich aus dem Haus gehe, nehme ich kein Internet mit. Ich will mich bewusst auf etwas Neues und Unbekanntes einlassen, selbst erkunden oder einfach Leute fragen, die des Weges kommen. Außerdem will ich, wenn ich mir einen Tag in der Natur vornehme, nicht hören oder lesen, was in der Bundeshauptstadt oder im Nahen Osten vor sich geht.
Das Folgende habe ich also erst herausgefunden, als ich abends nach Hause kam: Diese Gebäude mitten im Wald sind die Überbleibsel von Augustusbad. Ein Heilbad, das mir bisher vollkommen unbekannt war, obwohl ich mich durchaus für einen Bäderexperten halte (Beispiel 1, Beispiel 2, Beispiel 3). Augustusbad wurde schon 1719 gegründet, und bald entwickelte sich ein reger Medizintourismus.
Wenn ich mir die Postkarte aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg ansehe, bereue ich doch ein bisschen, nicht tiefer in den Komplex eingedrungen zu sein. Da sind riesige Hotels, wie beim Zauberberg. Und ein See!

Auf einem Foto von 1936 sieht man den markanten Glockenturm aus Holz, den Ihr eingangs auf dem dritten Foto erkennt. (Auf der Seite des Heimatvereins Liegau-Augustusbad findet Ihr noch viel mehr historische Postkarten sowie Fotos vom aktuellen Zustand.)

Ich weiß nicht warum, vielleicht lag es an der fehlenden Anbindung durch die Eisenbahn, aber gegen Ende des 19. Jahrhunderts geriet Augustusbad ins Hintertreffen unter den Heilbädern dieser Hemisphäre. Plötzlich waren Marienbad, Karlsbad, Baden-Baden und Bad Ischl angesagter. Augustusbad musste sich etwas Neues einfallen lassen.
„Wenn die Könige und Kaiser wegbleiben, muss man sich eben um Kinder kümmern“, dachten sich die eifrigen Kurmanager. So konnte man sich einen sozialen Anstrich geben, und die AOK würde alles bezahlen. 1875 wurde hier mit dem Bethlehemstift das erste Kindererholungsheim Deutschland errichtet.
Ich weiß nicht, wie es konkret in Augustbad zuging, aber grundsätzlich werde ich skeptisch, wenn ich „Kindererholung“ höre. Das ist ja oft eher Kindesmisshandlung, was dann leider immer erst 50 Jahre später ans Licht kommt. Und dann glauben alle, dass es aktuell sicher viel besser abläuft, bis in 50 Jahren die nächste Generation von dem in ihrer Kindheit erlittenen Missbrauch berichtet. Eigentlich muss man klipp und klar sagen: Wer Kinder wirklich mag, der bekommt erst gar keine.
Wahrscheinlich aus genau diesem Gedanken verfügte die kinderfreundliche Rote Armee 1945 die Schließung der Einrichtung. Später übernahm die Volkspolizei der DDR, die hier eine Ausbildungsstätte betrieb. Ein Teil des Geländes war ein Altenheim. Das stelle ich mir eigentlich ganz nett vor, so mitten im Wald.
Nach dem Ende der DDR wurden diese beiden Einrichtungen geschlossen, das Gelände an die Nachfolger der früheren Eigentümer restituiert, und verfiel. Fast alles, was in Ostdeutschland verfällt, ist die Schuld von Wessis, die sich nach 1990 altes Familieneigentum zurück übertragen ließen, die bis dahin bestehende Nutzung beendeten, und dann nichts Neues anfingen. In Augustusbad gab es tatsächlich Pläne für die Wiederaufnahme des Kurbetriebs, aber dann kam 1996 die Gesundheitsreform, schränkte die Gewährung und Finanzierung von Kuren gewaltig ein, und das war’s.
Aber wir sind nicht zum Lamentieren über die Vergangenheit hier, sondern zum Wandern.
Bald endet der Wald, und man kommt nach Kleinwachau. Das strahlt noch etwas von Kurort aus, obwohl die Gäste längst weg sind.
Nur ein Doldi hat die Deutschlandfahne falsch herum aufgehängt. Der Weg vom Patrioten zum Patridioten ist halt doch kürzer als der Weg von Radeberg nach Radeburg.
Dafür ist mein Weg umso schöner, denn er führt jetzt durch ein weites Tal in einem Buchen- und Birkenwald, immer an der Großen Röder entlang. Die Große Röder ist nicht so groß, wie sie behauptet, aber bei Gewässernamen wird ja viel getrickst und gelogen. Das Schwarze Meer ist zum Beispiel gar nicht schwarz, das Rote Meer nicht rot. Nur das Tote Meer, das ist echt bald tot. Fast hätte ich gesagt: Wenn Ihr es noch sehen wollt, fahrt schleunigst hin. Aber dann fiel mir ein, dass die Eisenbahnlinie gerade gesprengt wurde. Schade.
Wanderwege, die an einem Fluss entlang führen, gefallen und behagen mir. Nicht nur optisch, sondern auch, weil man die Wanderkarte wegstecken und einfach dem Wasserlauf folgen kann. Einen Schritt vor den anderen, und irgendwann kommt man zum Meer. Oder zur Quelle, wenn man falschherum läuft. Aber ganz so doof bin ich dann doch nicht.
Vielleicht heißt die Große Röder auch so, weil hier eine Mühle an der anderen steht. 80 Mühlen an einem gerade mal 100 km langen Fluss. Und das sind ja doch mehr als an so manch anderem Fluss von Weltruhm. Am Nil oder am Amazonas gibt es fast gar keine Mühlen, soweit ich gesehen habe. Die bauen lieber Pyramiden und wundern sich dann, dass sie verhungern.
Apropos Pyramiden: Wusstet Ihr, dass die ältesten Pyramiden der Welt in Bosnien zu finden sind? Und nach Visoko kommt man sogar mit der Eisenbahn. Das Deutschlandticket gilt da leider nicht, aber dafür noch immer die D-Mark.

Und dann wandelt sich das Tal plötzlich in einen Landschaftspark: das Seifersdorfer Tal, einen der ältesten deutschen Landschaftsgärten. Die Idee dafür kam, wie für so vieles, aus England. Die sogenannten englischen Gärten setzten einen bewussten Kontrast zu den geometrisch perfekten, aber irgendwie unnatürlichen Barockgärten französischer Machart.
Die englischen Landschaftsparks sind zwar auch künstlich angelegt, aber sie fügen sich in die Begebenheiten der Natur wie Hügelketten oder Flussläufe ein, anstatt alles absolutistisch plattzumachen. Durchsetzt wird das ganze mit Staffagebauten wie Tempeln, Einsiedeleien, Brücken, Grotten. Manchmal, wie im Fürst-Pückler-Park Branitz in Cottbus, taucht sogar in diesen Parklandschaften eine Pyramide auf.

Aber ich will nicht weiter theoretisieren und erklären, wenn ich Euch stattdessen einfach ein paar Fotos aus diesem wunderschönen Tal zeigen kann.
Angeblich wurde das Tal von Christina von Brühl geschaffen, die hier ab 1775 lebte. In Ostdeutschland waren die Frauen schon immer ein bisschen emanzipierter, und auch die Gräfin wollte nicht nur Hausfrau sein. Stattdessen schnappte sie sich einen Spaten und eine Kelle und begann zu buddeln und zu mauern.
Weil sie literarisch, künstlerisch und musikalisch gebildet war, enthielt der Park allerlei Tempel, Statuen und Schnörkeleien, die auf die Epoche der Empfindsamkeit anspielten. Aber auch konkrete Personen aus jener Zeit wurden gewürdigt, von Herder bis Klopstock, Goethe bis Caspar David Friedrich.
Viele der Künstler schauten gerne vorbei. Als Künstler lebt man ja immer verarmt in einer Dachgeschosswohnung, da ist es praktisch, wenn Freunde einen großen Garten haben.

Andererseits kommt natürlich auch keiner von den schöngeistigen Schnöseln vorbei, wenn er im Wald übernachten muss. (Ich wäre da anders.) Deshalb gibt es oberhalb des Tals den Ort Seifersdorf und in diesem Ort ein Schloss.
Eigentlich muss ich dringend nach Radeburg und Radebeul und wollte deshalb allen unterwegs lauernden Ablenkungen entsagen. Aber dieses eine Schloss gönnen wir uns, auch wenn es ein beschwerlicher Umweg ist. Irgendwann laufe ich mir noch die Füße platt, nur weil die weltweite Leserschaft unersättlich nach Schlössern gelüstet.
Schloss Seifersdorf bekommt gerade ein frisches Make-Up verpasst, weshalb es nicht so gut aussieht wie sonst. Aber ein schöner Park gehört zum Schloss, ganz so wie wenn das Seifersdorfer Tal nicht schon genug wäre. Kein Wunder, dass die Menschen in der Sowjetischen Besatzungszone für eine Bodenreform votierten, um gegen die ungleiche Parzellierung ihres Landes zu protestieren.
Von diesem kleinen Schloss in Sachsen stammt übrigens die britische Königsfamilie.
Das habt Ihr wahrscheinlich nicht gewusst, weil die Leserschaft meines Blogs kaum Schnittmengen mit der Leserschaft der Klatsch- und Tratschpresse hat. Ich muss gestehen, ich habe noch nie eine von diesen gelben Zeitungen gelesen, die zu Hunderten an den Supermarktkassen ausliegen. Aber irgendwie habe ich den Eindruck, die haben in der Redaktion einen Zettelkasten mit hundert Prominenten (Katarina Witt, Boris Becker, der Hund vom Moshammer, und so weiter) und einen zweiten Zettelkasten mit hundert Schlagwörtern (Ehedrama, Gehirntumor, Insolvenz, und so weiter). Kurz vor Redaktionsschluss muss der Praktikant aus jeweils einem der beiden Kästen blind einen Zettel nehmen. Durch diese zufällige Kombination entstehen die Geschichten: „Ehedrama auf dem Eis: Der Mann rutscht immer aus“ „Boris Becker erleichtert: Kein Gehirn(tumor)“ „Moshammer: Ist jetzt auch der Hund pleite?“ Und so weiter, Woche für Woche. Passt einfach mal auf, wenn Ihr wieder an diesen Papierverschwendungsmagazinen vorbeigeht.
Jedenfalls ging das so: Friedrich Hauke war Sekretär beim Grafen von Brühl (das war der Mann von der Gärtnerin). Der Sekretär bekam 1775 auf Schloss Seifersdorf einen Sohn, Hans Moritz Hauke. Dieser wiederum hatte eine Tochter, nämlich Julia Hauke. Diese Julia heiratete Prinz Alexander von Hessen, der wegen der Heirat mit einer Nichtprinzessin enterbt wurde und daraufhin ein neues Adelsgeschlecht gründete, nämlich das Haus Battenberg.
Die Kinder aus dieser Familie zogen in alle Welt, um Unheil zu verbreiten, z.B. nach Bulgarien, nach Schweden, nach Spanien, nach Burma, nach Indien und auch nach Großbritannien. Während des Ersten Weltkriegs waren die Deutschen irgendwie nicht so gut angesehen, also änderte die Familie den deutschen Namen Battenberg in das englische Mountbatten.
Die Sprösslinge dieser Familie wurden alle Königinnen von Spanien und Schweden, Könige von Burma und Indien, Admiräle und Generäle. Nur einer, Philip Mountbatten, hatte keinen Bock und wollte einfach nur als Marineoffizier um die Welt fahren. Leider lernte er dabei Königin Elisabeth II. kennen. Die stammte ebenfalls aus einer sächsischen Familie (Sachsen-Coburg und Gotha), die ebenfalls im Ersten Weltkrieg einen englischen Namen angenommen hatte (Windsor). Jedenfalls verliebte sich Elisabeth in Philip und wollte ihn heiraten. Das ist eigentlich das Schlimmste, was dir im Leben passieren kann.
Philip dachte angestrengt nach, wie er aus der Nummer rauskäme. Ihm fiel nur eins ein: „Das geht nicht, ich bin Ausländer!“ Er hatte nämlich nur den griechischen, den dänischen und den deutschen Pass. Leider darf die Königin, weil sie von Gott eingesetzt ist, alles. Sogar die britische Staatsbürgerschaft verleihen. Also drückte sie dem verdutzten Leutnant einen Pass in die Hand und sagte: „Wenn der Krieg vorbei ist, findet die Hochzeit statt.“ Philip hoffte auf einen Dreißigjährigen oder gar Hundertjährigen Krieg, aber leider war zwischenzeitlich die Atombombe erfunden worden, was Kriege erheblich verkürzte. Das Uran dafür kam übrigens aus Sachsen, und so schließt sich der Schaltkreis.
Das war etwas verkürzt, aber wir haben hier nicht ewig Zeit.
Zurück im Seifersdorfer Tal schlage ich an dieser Gabelung natürlich den gefährlicheren der beiden Wege ein. Überhaupt sollte man immer im Leben so handeln, dass es eine bessere Geschichte ergibt.

Das versprochene Hochwasser zeigt sich nicht, wahrscheinlich hat es anderswo zu tun. Aber dieser Abschnitt des Seifersdorfer Tals, der nach Grünberg führt, ist noch einmal wunderschön.
Grünberg ist ein Kuhdorf.

Das soll jetzt kein despektierliches Verdikt eines Großstädters (der selbst aus einem kleinen Kaff stammt) sein. Nein, es ist einfach nur eine Feststellung. Denn die Grünberger und Grünbergerinnen scheinen sich wirklich sehr mit Kühen zu identifizieren. Überall sitzen, stehen, liegen und lauern Kühe. In den Gärten, auf dem Spielplatz, am Wertstoffhof, auf dem Verteilerkasten und sogar auf dem öffentlichen Bücherschrank.
Es ist nur eine Kleinigkeit, aber so wird der Spaziergang durch das Dorf zum Vergnügen. Man erfreut sich an jeder weiteren Kuh, die man erspäht. Und man wundert sich (bis heute), was es damit auf sich hat.
Am Ortsausgang steht ein Kirchlein. Als ich näher komme, denke ich mir: „Nein, die werden doch nicht etwa …“

Aber sie haben es getan.
In Grünberg triumphiert die Kunstfreiheit. Das ist ja mal eine kuhle Gemeinde!

In dieser lustigen Kirche wirkten die Pfarrer Magnus Adolph Blüher und Samuel David Roller, die eine Schule zur Vorbereitung auf die Mission betrieben. Zwischen 1837 und 1848 wurden junge Männer aus Sachsen zur Mission nach Australien verschifft. Die meisten von ihnen kehrten nicht zurück, sondern wurden Goldschürfer, Opalschleifer und Surflehrer. Allerdings scheint es noch regen Postverkehr zu geben, denn neben dem normalen gelben Postkasten gibt es einen für Briefe nach down under.

Ich wurde auch einst als Jugendlicher nach Australien verschifft, bin aber wieder zurückgekehrt, weil ich keine Länder mag, von denen aus man nicht spontan in mindestens 10 Nachbarländer reisen kann.
Außerdem ist Australien nicht so schön zum Wandern wie Mitteleuropa, wo gleich nach Grünberg der Hermsdorfer Park folgt. Dieser Park fängt wild und verwegen an, wird dann immer organisierter und gepflegter, bis man irgendwann merkt: Hoppla, der gehört ja schon wieder zu einem Schloss. Das ist auch so eine Sache, die mir in Australien fehlen würde. Da kannst du 2000 Kilometer wandern und findest kein einziges Schloss. Außer so nachgebaute Kitschschlösser.
Zum Glück tobt bei Schloss Hermsdorf gerade ein Fest, sonst wäre ich da auch wieder eine Stunde abgehangen und hätte weitverzweigte Ahnengalerien ausgegraben. Aber mit Festen kann man mich jagen, weil ich alles, wo mehr als zwei Leute fröhlich beisammen sind, als unangenehm empfinde. Wenn es nicht fröhlich sein muss, dann geht es. So wie an der Universität, im Zug oder auf Demonstrationen. Geburtstage, Fasching und ähnlich hirnloses Halligalli sind mir hingegen ein Graus.
Außerdem wird es langsam spät, ich bin ja schon seit dem frühen Morgen und seit Radeberg unterwegs. Nach Radeburg muss ich es mindestens schaffen, denn von dort fährt der Zug zurück nach Dresden und nach Hause.
Also lege ich einen Zahn zu, höre auf zu labern bzw. zu schreiben und mache nur hier und da ein kleines Foto. Gegen Ende des Tages verfliegen leider die Begeisterung und die Aufnahmefähigkeit. Ich kämpfe mich nur mehr Kilometer um Kilometer über Feldwege und durch Wälder, einen Schritt vor den anderen, im ständigen Kampf gegen Erschöpfung und Hunger.
Und dann ist es endlich da: Radeburg. Nur ein Zwischenziel, aber für heute reicht es. Verwechseln werde ich die beiden Orte jedenfalls nicht mehr!

Ich bin mir sicher, Radeburg hat höchstinteressante Sehenswürdigkeiten und Kuriositäten zu bieten, aber die sich unaufhörlich dem Horizont zuneigende Sonne signalisiert: Jetzt ist Schicht im Schacht!
Mit letzter Energie marschiere ich zum Bahnhof und hoffe auf das Glück, das mir gewöhnlich stets hold ist und einen innerhalb weniger Minuten abfahrbereiten Zug in die gewünschte Richtung bereithält.
Leider gibt es auf diesem Bahnhof weder Glück noch Züge.


„Kulturbahnhof“ steht da. Das ist schön, aber es bringt mich nicht nach Hause. Es gibt keinen Informationsschalter, keinen Fahrkartenautomaten, keinen Bahnhofsvorsteher und überhaupt nichts, was einen Bahnhof zu einem Bahnhof machen würde.
Nur ein kleiner Aushang informiert mich, dass die Strecke von Radeburg nach Dresden nicht von der Deutschen Bahn, sondern von der Lößnitzgrundbahn und von den Dampfloks, die ich am Morgen im Hauptbahnhof gesehen habe, betrieben wird. Der letzte Zug fuhr um 16:06, vor etlichen Stunden.
Leichte Verzweiflung macht sich breit.
Schon denke ich darüber nach, wo ich die Nacht verbringen werde. Einen Pullover habe ich dabei, vielleicht genügt das gegen das Erfrieren. Ich könnte auch trampen, zumindest bis nach Dresden, von dort fährt sicher noch ein später Zug nach Chemnitz. Aber dazu muss ich an den Stadtrand, sonst nimmt mich niemand mit. Aber schnell, denn bei Dunkelheit nimmt mich erst recht niemand mehr mit. Die Verzweiflung steigt.
Auf dem Stadtplan entdecke ich einen Busbahnhof. Die letzte Chance. Schnell hin!
Ich laufe atemlos durch den Stadtpark, die örtliche Jugend mit ihren Bierdosen wundert sich. Aber es wäre wirklich ärgerlich, hier auch den letzten Bus zu verpassen. Falls überhaupt noch einer fährt an einem Samstagabend.
Der Anblick des Busbahnhofs ist ernüchternd. Gähnende Leere. Wie auf dem Busbahnhof in Solotwino, als ich während des Kriegs versuchte, durch die Ukraine zu fahren.

Auch hier hängt ein Zettel. Am Samstag fahren natürlich weniger Busse als sonst. Aber um die Leserschaft nicht unnötig auf die Folter zu spannen und um zukünftigen Ausflüglern behilflich zu sein: Selbst am Wochenende fährt um 19:09, um 20:54 und um 22:23 noch ein Bus von Radeburg nach Dresden.
Ende gut, alles gut. Und ich hätte nicht einmal so hetzen müssen.
Wann geht es weiter? Ist Radeburg vielleicht doch einen Besuch wert? Erwische ich das nächste Mal die Eisenbahn? Gibt es zwischen Radeburg und Radebeul wieder eine Menge Schlösser? Und warum kann es tödlich enden, Radeberg und Radeburg zu verwechseln?
All dies und vieles mehr beantwortet demnächst Teil 3 dieses Wanderberichts.
Links:
- In der Zwischenzeit könnt Ihr Euch die Zeit mit weiteren Wandergeschichten vertreiben.
- Außerdem habe ich noch mehr Berichte aus Sachsen.
- Websites zum Augustusbad, zum Seifersdorfer Tal, zu Schloss Seifersdorf, zu Schloss Hermsdorf und zur Lößnitzgrundbahn.




















































Vielen Dank für den ausführlichen Bericht- und so viel dazu.
…mit blauen🐘Grüßen
Meine Berichte ufern immer so aus, da muss der Dank eigentlich in die andere Richtung fließen:
Also vielen Dank fürs Lesen!
Find das total toll, weil da immer so viele Informationen drin sind, eine kleine Reise von zu Haus aus😊
🐘
Das ist auch ein bisschen mein Anspruch: Zu Zeigen, dass man gar nicht weit um die Welt reisen muss, sondern einfach aus dem Haus spazieren und auch in der Region viel Interessantes entdecken kann. (Außer in Australien.)
Und wenn man das ganze vom Sofa aus nachliest, dann ist es natürlich noch bequemer. Und besser für die Umwelt.
Ein sehr schöner Text wieder, kann nicht lang genug sein! Wirklich, Danke! Aber irgendwie scheinen Fotos zu fehlen, nach dem 1-DM-Ticket? Seifersdorfer Thal? Schlösser? Kühe in Grünberg? Seh‘ nix … och schade … freu‘ mich trotzdem auf die Fortsetzung 🙂 VG HeikeS
Oje, dann fehlen dir ja die schönsten Fotos.
Aber sie sind online, ehrlich. Versuche einfach mal, die Seite erneut zu laden oder zu aktualisieren.
(Wenn das auch nicht klappt, dann hast du dein Internet für den Monat schon aufgebraucht. Das ist aber auch nicht so schlimm, dann geht man mehr nach draußen in die Natur. Ich wünsche mir manchmal, es gäbe eine Mengen- oder Stundenbegrenzung, damit man nicht end- und sinnlos surft.)
Wieder ein wunderbarer Text, vielen Dank!
Als in Radebeul aufgewachsener Exil-Sachse eine kleine Anmerkung: Die Dampflok in Dresden und die Züge in Radeburg haben nichts miteinander zu tun (schon wegen der Spurweite nicht). Die Loks für die liebevoll „Lößnitzdackel“ genannte Radebeul-Radeburg-Bahn stehen immer im Bahnhof Radebeul-Ost. Dort gibt es dann tatsächlich sowohl Normalspur (S1) als auch die Schmalspur nach Moritzburg und Radeburg 🙂
Vielen Dank für die Aufklärung!
Beim nächsten Abschnitt der Wanderung habe ich das dann selbst bemerkt, als ich sehr spät abends und total erschöpft am Bahnhof in Radebeul ankam. (Zu Fuß natürlich.)
Bald kommt Teil 3 über den letzten Teil dieser Wanderung, die auch wieder total schön war.
Der Lößnitzgrundbahn bin ich zweimal begegnet, bin aber beim Wandern geblieben. Aber es ist schon ein wunderbarer Anblick, wenn die so durch die Gegend schnauft! Da mache gesondert noch einmal einen reinen Eisenbahnausflug.
Radebeul ist auch ein hübsches Städtchen. Allerdings für jemanden wie mich, aus der Arbeiterschicht, etwas zu mondän. Da fühle ich mich in Chemnitz wohler. 😉
So viele Gedanken, die einen da beim Wandern überkommen. Und dann finden sie sich alle in deinem Blog wieder 😉 Der Gedanke an die Pyramiden bei Visoko ist spannend, doch nach kurzer Recherche lese ich, dass Osmanagićs Theorie von der Wissenschaft einheitlich abgelehnt wird? Schade irgendwie.
Wenigstens eine Leserin recherchiert noch gründlich!
Ich hatte mal einen Mitbewohner aus Georgien, der behauptete, dass dort die ältesten Pyramiden der Welt stünden.
Und bei Egon Erwin Kisch habe ich gelesen, dass die Tatsache, dass es sowohl in Ägypten als auch in Mexiko Pyramiden gibt, als Beweis für einen Tunnel unter dem Ozean herhalten musste. Deshalb gäbe es auch Juden in Lateinamerika, weil die damals durch den Tunnel vor den Römern geflohen seien.
Also, diese Pyramiden bringen die Leute irgendwie auf verrückte Gedanken.
Es gibt die goldene Regel: wenn dir etwas, das eigentlich eine Sensation sein sollte, entweder vollkommen neu ist oder größere Informationsquellen greifen es nicht auf, dann überprüfe den Wahrheitsgehalt 😉 Spannend mit dem Tunnel. Einigen wir uns darauf, dass es ihn gibt, solange nicht das Gegenteil bewiesen ist.
Das ist eine gute Regel!
(Auch wenn mich schmerzt, dass ich anscheinend nicht als „größere Informationsquelle“ gelte.
)
Na ja, unter „größerer Informationsquelle“ verstehe ich Wikipedia (auch mit gewisser Vorsicht zu genießen) und die öffentlich rechtlichen Sender… 😉