Flaschenpost vom Müggelsee

Viele Leute kennen Müggelheim und insbesondere den Müggelsee nicht aus eigener Anschauung oder von meinem kleinen Reiseblog, sondern aus dem preisgekrönten Hollywood-Blockbuster-Erfolgsfilm „Hai-Alarm am Müggelsee“.

Der Film ist so naja, auch wenn er durchaus ein paar lustige Anspielungen aufweist, unter anderem auf das Vorbild aller Hai-Filme, aber auch auf die Schabowski-Pressekonferenz sowie die Westerwelle-Pressekonferenz und wahrscheinlich einiges mehr, welches ich als Ortsfremder nicht verstanden habe.

Die interessanteste Erkenntnis des Films war aber, dass der Müggelsee über alle möglichen Wasserstraßen mit den Weltmeeren, ja sogar mit Hawaii, verbunden ist.

Als Freund der völkerverständigenden Kommunikation, insbesondere der nicht-elektronischen, wofür ich manchmal, um zur naheliegenden Meeresmetapher zu greifen, als vorsintflutlich beschimpft werde, kam mir natürlich sofort eine Idee: eine Flaschenpost!

Nun ist diese Idee keine neue, nicht einmal für mich.

Bereits vor fast drei Jahren habe ich von den Azoren, mitten im Atlantik, wo diese Idee naheliegender als am östlichen Stadtrand von Berlin erscheinen mag, etliche in leere Glasflaschen und – mangels ausreichenden Alkoholkonsums – Gurkengläser gepackte, natürlich handgeschriebene Botschaften dem Meer, den Wellen, den Gezeiten und dem Schicksal überantwortet und auf eine Reise entlassen. Leider habe ich auf diese Briefe bis heute keine Rückmeldung erhalten, obwohl ich, aller Abneigung gegenüber jeglichem modernen Klimbim zum Trotz, neben meiner Post- sogar meine E-Mail-Adresse angegeben habe.

Der Müggelsee ist – in Fließrichtung – über die Müggelspree, die Spree, die Havel und die Elbe an die Nordsee angebunden, von wo aus einst die kaiserliche Hochseeflotte die Welt mit allen möglichen unsinnigen und sinnigen Missionen terrorisierte bzw. beglückte.

Das ist eine Karte von Berlin. Die markierten Flughäfen sind irrelevant, die funktionieren nicht mehr. Zur Nordsee geht es nach Norden, klar. Das ist oben. Aber man sagt bei Karten nicht „oben“ oder „unten“, zumindest nicht, wenn man bei den Pfadfindern oder ähnlichem war. Außerdem ist der Wasserweg zur Nordsee äußerst kurvig und verworren, so dass Berlin niemals zur wichtigen Hafenstadt wurde und niemand weiß, ob die hier den Naturgewalten übergebene Flasche jemals die raue See erblicken wird.

Mindestens eine Geschichte einer im Müggelsee erfolgreich versandten Flaschenpost scheint es zu geben, auch wenn mir wegen der Bezahlschranke der Märkischen Allgemeinen Zeitung die Details verschlossen bleiben. Eine Frau, die während eines Ausflugs an den Müggelsee eine Flaschenpost ins Wasser warf, hat dadurch und durch eine Antwort aus Paris (anscheinend haben die da auch Wasser, auch wenn sie immerzu Wein trinken) ihre große Liebe, ihren Mann und das Joch der Ehe gefunden. Wer Zugang zur MAZ hat, kann ja vielleicht Details beisteuern. Danke!

Von so hochtrabenden Hoffnungen bin ich gar nicht geleitet, als ich auf einem meiner vielen Spaziergänge, die in Müggelheim unweigerlich zum Wasser führen, eine Bouteille-Botschaft auf den Weg bringe. Ich habe extra einen regnerischen und windigen Tag ausgewählt, um wenig Zuschauer, aber mehr Strömung zu haben. Außerdem wollte ich es vor dem morgigen Feiertag erledigen, wenn wieder Millionen von Badegästen aus aller Welt einfliegen und die Strände von Köpenick, Friedrichshagen und Müggelheim bevölkern.

Gleich der erste Wurf gelingt. Schwungvoll und in weitem Bogen. Kraftvoll wie von einem gedopten Olympioniken. Elegant wie der Pinselstrich von Salvador Dalí (wahrscheinlich auch gedopt). Und dann dümpelt die Flasche im See, wabert auf und ab mit dem sanft plätschernden Wellengang, lässt sich treiben, ziellos, planlos, antriebslos. Sie kommt nicht recht vom Fleck. Wie eine hämische Metapher auf das Leben des Postabsenders und Flaschenwerfers.

Eine Zigarrenlänge, also eine gute halbe Stunde, verbleibe ich an dem Stück Strand, von dem aus das Kommunikationsband geknüpft ist und seine Finger und Fühler in die große, weite Welt ausstreckt. In dieser Zeit macht die Flasche vielleicht 10 Faden oder Klafter, also höchstens 60 Fuß. (Auf dem Wasser darf man nicht in Metern rechnen, das stört die Fische.) Noch enttäuschender als die Distanz ist die Richtung. Es ist nämlich die falsche.

Vielleicht hätte ich auf Ost- statt auf Westwind warten sollen, denke ich, und dass es vielleicht besser war, dass meine Bewerbung an der Marine-Akademie gescheitert ist.

Hoffentlich schafft es die Flasche zumindest durch Berlin und wird nicht schon in Kreuzberg abgefangen und im nächsten Späti zu schnödem Flaschenpfand umgewidmet. Denn an 25 Cent sollte eine Weltumrundung wahrlich nicht scheitern.

Links:

  • Es gibt einen ganzen Blog, der sich den Buddelbriefen widmet.
  • Schade, dass ich auf meinen Atlantiküberquerungen keine Flasche zur Hand hatte. Aber damals war ich so knapp bei Kasse, dass ich mir nicht einmal ein Bier leisten konnte.
  • Hier gibt es noch mehr Geschichten vom Meer.
  • Wenn man im Wasser versucht, in Metern und Kilometern zu messen, verunsichert man nicht nur die Meeresbiologie. Man verfährt sich auch leichter. So wie einst Kolumbus.

Falls Ihr nicht auf den Zufall vertrauen wollt, meine Flaschenpost zu finden, oder nicht am Meer wohnt, schicke ich Unterstützern dieses Blogs auch gerne eine Postkarte.

Über Andreas Moser

Travelling the world and writing about it. I have degrees in law and philosophy, but I'd much rather be a writer, a spy or a hobo.
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23 Antworten zu Flaschenpost vom Müggelsee

  1. Xeniana schreibt:

    Was für eine schöne Idee. Diese Flaschenpost.

    • Andreas Moser schreibt:

      Danke! Hoffentlich kommt sie weit.

      Du bist ja aus Kiel, oder? Landen da nicht jeden Tag Flaschenposten an?

      Ich muss sagen, ich ärgere mich im Nachhinein, wie spät ich erst auf diese Idee gekommen bin. Ich war ja schon in Australien, auf zwei Atlantiküberquerungen, auf der Osterinsel, auf Madeira, auf Malta, auf Sizilien, auf Lipari, auf Vulcano, auf Stromboli, auf Sardinien, an der Pazifikküste in Peru und Kalifornien, an der Karibikküste in Kolumbien, an den stürmischen Küsten Cornwalls, auf Antigua, auf Sint Maarten, an der Mittelmeerküste in Israel und im Libanon, am Dnepr in der Ukraine, an der Ostsee in Litauen, Lettland und Estland, sogar auf der Insel Hiiumaa, an der Donau natürlich, allein die vier Jahre während des Studiums in Regensburg.
      Was muss ich für ein langweiliges oder übertrieben geschäftiges Leben geführt haben, dass in mir nie die Idee zum Schreiben einer Flaschenpost reifte? Nur gut, dass die Covid-Pandemie über uns kam, während ich auf den Azoren weilte, sonst hätte ich mich wahrscheinlich niemals alleine genug für diesen Verzweiflungsakt der Kommunikation gefühlt.

      Oder ich habe nie an eine Flaschenpost gedacht, weil ich früher keinen Alkohol trank und daher nur leere Cola-Dosen zur Verfügung gehabt hätte. :/

      Jedenfalls will ich jetzt versuchen, wann immer ich an einem einigermaßen geeignet erscheinenden Wasserlauf weile, mein Flaschenpostlebenszeitkonto etwas aufzufüllen.

    • Xeniana schreibt:

      Ja ich will auch eine Flaschenpost werfen:) Aber da muss man vermutlich ans offene Meer. Förde reicht da nicht.

    • Andreas Moser schreibt:

      Ich glaube, genau dafür gibt es Ebbe und Flut und die Gezeitenkalender im Schreibwarenladen.

      Zumindest gab es das in Cornwall: https://andreas-moser.blog/2020/12/18/newquay/ (Kapitel 39)

    • Andreas Moser schreibt:

      Ich habe bei dem verlinkten Flaschenpostexperten nach Geschichten aus Kiel gesucht, und da sind auch einige aus der Förde dabei:
      https://flaschenposten.wordpress.com/?s=Kiel

      Das Wasser kommt anscheinend überall hin.

    • Xeniana schreibt:

      Ach Mensch, danke! Das is wird ja spannend!

    • Peter S. schreibt:

      Hi Xeniana, Kiel ist prima! Vielleicht nicht gerade die Hörn, aber wenn du nach Strande raus fährst und bis zum Leuchtturm Bülk spazierst, dann hast du bei Südwestwind die besten Chancen! 🙂

      Hi Andreas, vielen Dank für das Verknüpfen meines Blogs, hier und auch oben! 🙂

    • Andreas Moser schreibt:

      Aber klar doch, Peter!
      Schließlich ist dein Blog die absolute Koryphäe auf dem Gebiet der Flaschenposten.

      Das erkennt man ja auch an deinen Tipps, sogar mit Angabe des flaschenpostabsendungsgünstigsten Windes.

    • Peter S. schreibt:

      Es gibt aber auch so wunderbare Kolleginnen (von denen eine allerdings gerade Pech mit dem wind hat): https://bottledfortune.de/

    • Andreas Moser schreibt:

      Ihr macht das alle so professionell mit Gezeiten und Wind und Strömungskarten.

      Aber vielleicht kommt das davon, wenn man am Meer wohnt und jeden Tag Flaschen auf die Reise bringen könnte.
      Bei mir war es bisher immer eine ganz spontane Entscheidung, und dann mache ich es einfach am nächsten Tag.
      (Und ganz ehrlich, meisten habe ich auch gar keine Glasflasche mit Korken oder passendem Verschluss. Ich muss das vor den nächsten Reisen ans Wasser ein bisschen besser vorbereiten. Ich ärgere mich noch immer, dass ich in Kiew keine Flaschenposten in den Dnepr geworfen haben.)

  2. Andreas Moser schreibt:

    Nicht übersehen darf man aber die volkswirtschaftlichen Konsequenzen:

  3. Friedrichshagener schreibt:

    Der Beitrag gehört natürlich geteilt… VG, ein Friedrichshagener

  4. Hermann schreibt:

    Wunderbares Prokrastinationsmaterial, meine Machmichs verschwinden beim Lesen dieser wie immer stimmungsaufhellenden Seiten auf wundersame Weise!
    Vielen Dank!
    Nun aber flink zurück in mein geplagtes Gehirn – vielleicht kriegt es ja noch was zustande.

    Schönen Gruß aus Südostmittelfranken!

    • Andreas Moser schreibt:

      Vielen herzlichen Dank für diese freundlichen und für zukünftige Artikel motivierenden Worte!

      „Südostmittelfranken“ hört sich einerseits fast so widersprüchlich an wie „Ostwestfalen“, andererseits nach relativ nah an meiner Heimat, die da im Landkreis Amberg-Sulzbach liegt.

    • Anonymous schreibt:

      Schön, da fühlt man sich umarmt.
      Die Untersuchungen zur mangelnden Konzentrationsfähigkeit, wenn sich das Mobilgerät im gleichen Raum befindet, scheinen also zu stimmen.
      Mit Südostmittelfranken (westlich des bei Weizenbiertrinkern geschätzten Ortes Titting, Oberbayern) verbinden mich vor allem eindrucksvolle Jugenderinnerungen.
      Es war aber schön, es mal an dieser Stelle zu platzieren!
      Schönen Gruß, Hermann

    • Andreas Moser schreibt:

      Als jemand, der Handy und Computer gerne mal für ein paar Tage ausschaltet, kann und muss ich leider mitteilen und attestieren, dass auch Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, das Radio, ja sogar Tagträumereien zu äußerst wirksamer Ablenkung von der zu erledigenden Arbeit genutzt werden können.

    • Andreas Moser schreibt:

      Das Absenden einer Flaschenpost zu prokrastinieren ergibt für mich nur Sinn, wenn man wirklich weit weg vom nächsten Meer wohnt. Obwohl es ja sogar in Armenien, Kirgistan oder Bolivien Flüsse gibt.

      Da fällt mir ein, dass in zwei Wochen in Bolivien wieder der große nationale Trauertrag des Verlusts des Zugangs zum Meer begangen werden wird:
      https://andreas-moser.blog/2016/12/07/bolivien-vermisst-das-meer/

    • Andreas Moser schreibt:

      Oh, das sind ja zum Teil echt dramatische Geschichten! Letzte Nachrichten aus einem Konzentrationslager, das ist natürlich schon ein anderes Kaliber als unsere Spaßbriefe. :/

      Aber für mich geht es schon auch um den zufälligen Weg des Windes und des Wassers, hoffentlich an einen Ort, von dem ich noch nie gehört und über den ich sonst nie erfahren hätte.

  5. Peter S. schreibt:

    Der Müggelsee, – klar, das ist der Nabel der hypopontographischen Welt! 😉
    Deiner Flaschenpost ein frohes Treiben und einen frohen Finder!

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