Vor hundert Jahren waren die Mieten auch schon zu hoch

Auf der Suche nach Themen für die noch junge, sich aber schon breiter Beliebtheit erfreuende Reihe „Vor hundert Jahren …“ wälze ich gerade alte Zeitungen.

Wenn die Augen vom stundenlangen Entziffern vergilbter Schriften schmerzen, entspanne ich manchmal auf der Seite mit der Reklame. Zum Beispiel in der sozialistischen Tageszeitung „Freiheit“ aus Berlin, Ausgabe vom 29. Dezember 1920.

Das kann ziemlich interessant sein.

Da kauft jemand gebrauchte (bzw. nicht mehr gebrauchte) Zahngebisse zum Einschmelzen. Es gibt Pulver gegen Pickel, Befreiung vom Bettnässen, jede Menge „Spezialärzte“ und einen Ratgeber zu Naturheilverfahren und Homöopathie, womit „von 100 Krankheiten mehr als 90 schon im Keime erstickt und manche Krankheit, Siechtum, Kummer und schlaflose Nächte verhütet“ werden.

Seriöser als dieser Humbug ist der Auftritt von „Kapitän Rausen mit seinen dressierten Seelöwen“.

Da fällt mein Blick auf eine Annonce, die anzeigt, dass sich trotz eines recht turbulenten Jahrhunderts in der damaligen und nach zwischenzeitlicher Erholungspause wieder gesamtdeutschen Hauptstadt gar nicht so viel verändert hat. Beworben wird das Buch „Der Mieterschutz“, das unter anderem die „beste gemeinverständliche Darstellung“ (eine Werbeaussage wie zugeschnitten auf diesen Blog) der preußischen Höchstmietenverordnung verspricht.

Der Mietendeckel in Berlin ist also kein neumodisches Teufelszeug, wie Kapitalisten jammern, sondern eine Idee aus dem Kaiserreich. Der Berliner Mieterverein bietet einen Überblick über die Rechtsentwicklungen um die Zeit des Ersten Weltkriegs.

Damals wie heute greifen die Mieterschutzvorschriften leider das grundsätzliche Problem nicht an, das Jean-Jacques Rousseau so formulierte:

Der erste, der ein Stück Land mit einem Zaun umgab und auf den Gedanken kam zu sagen »Dies gehört mir« und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der eigentliche Begründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wieviel Elend und Schrecken wäre dem Menschengeschlecht erspart geblieben, wenn jemand die Pfähle ausgerissen und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: »Hütet euch, dem Betrüger Glauben zu schenken.“

Boden, eine begrenzte Ressource wie Wasser oder Luft, zum Gegenstand von Privateigentum zu machen, ist die Wurzel allen Übels. Umso mehr, wenn es keine Höchstgrenze gibt. Zusätzlich zum Mietendeckel bräuchte es einen Eigentumsdeckel, denn welcher Mensch braucht mehr als ein Haus?

Leider war die Revolution 1918/19 ziemlich halbherzig und hatte den Großgrundbesitz nicht angetastet. (Siehe dazu auch Kapitel 3 meiner König-Ludwig-Saga.) Eine verpasste Chance.

Für Euch getestet: Das Leben in einem sozialistischen Plattenbau ist ziemlich gemütlich.

Aber eigentlich sollte das nicht das Thema für Januar 1921 werden, schließlich hat es nichts direkt mit jenem Monat zu tun. Wieder mal habe ich mich ablenken und auf Seitenstraßen führen lassen. Betrachtet es einfach als Bonusfolge. Gratis! Die eigentliche Folge zum Januar 1921 erscheint umgehend. Verblüffung garantiert, wie man das 1921 beworben hätte.

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Über Andreas Moser

I am a lawyer in Germany, with a focus on international family law, migration and citizenship law, as well as constitutional law. My other interests include long walks, train rides, hitchhiking, history, and writing stories.
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